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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
Autoren: Jess Jochimsen
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gebaut, mit dem sie in einer vorgefertigten Bahn mit Höllenkaracho den Berg hinuntersausen können.)
    »Du musst Tom das verbieten«, schimpft die Oma, »das ist viel zu gefährlich.«
    Ich verkneife mir den Kommentar, dass bei der ersten Winterolympiade den Bobfahrern das Rauchen noch ausdrücklich erlaubt war – und zwar während des Fahrens. (Ein tolles Bild: Die saßen, mit Frack und Zylinder, in ihren tollkühnen Kisten, ratterten rauchend gen Tal und sahen in erster Linie gut dabei aus!)
    »Du weißt doch, wohin das führt«, schimpft die Oma weiter, »oder willst du, dass er so wird wie der Hackl Schorsch?«
    »Das wird nicht passieren, Mutter«, sage ich lächelnd, »vertrau mir.«
    Dann drücke ich lässig die fertig gerauchte Kaugummizigarette aus.

Von mir hat er das nicht
    Wenden wir uns einem echten Tabuthema zu, einem, über das man nur hinter vorgehaltener Hand spricht, wenn überhaupt, einem schmutzigen Thema, einem »Untenrum«-Thema. Die Rede ist von Männerfüßen. Jawohl, Männerfüße! Kein schönes Sujet, ich weiß, aber die meisten Jungs haben nun mal zwei davon, da hilft kein Wehklagen, Weggucken oder Nasezuhalten, sie sind in der Welt, sie tragen uns durch diese und wollen von daher gehegt, gepflegt und vor allem umhüllt sein.
    Nicht, dass ich falsch verstanden werde, ich rede nicht von Männerbeinen, denen man gelegentlich eine gewisse Ästhetik zugestehen kann – wenn es sich nicht gerade um die von Piratenkapitänen, Lohnbuchhaltern oder Pierre Littbarski handelt. Nein, ich rede von »Füßen«, jenen beiden sich ganz unten am Manne befindlichen platten, hornbehäuteten und streng riechenden Stellflächen, die oft bis zu einem halbenMeter lang werden, damit das zu tragende Gebilde nicht vornüberkippt. (Und auch von den Zehennägeln, oder sagen wir, wie es ist, »Krallen«, und deren notwendiger Stutzung will ich nicht schweigen.)
    Die Zeit, in der mein Sohn Tom süße, winzige Füßchen hatte, deren liebliche Nägelchen er bisweilen mit seiner Mutter Nagellack bezaubernd färbte, ist lang vorbei. Tom ist jetzt ein Junge, und auch wenn er auf den ersten Blick noch ein kleiner Fratz ist, glauben Sie mir, ganz untenrum ist er bereits ein Mann.
    »Die hat er nicht von mir«, sagt meine Frau mit Bestimmtheit, wenn das Tabuthema anklingt, oder, wenn es sich verschärft: »Ausgerechnet deine hässlichen, blöden Schweißfüße musste er erben!«
    In Bezug auf Toms Intellekt, Aussehen, Sportlichkeit und Sprachmacht ist meine Frau mit meinem Erbgut durchaus zufrieden; bezüglich seiner Pedanterie, seines Jähzorns und seiner Mathematikschwäche schieben wir uns den schwarzen Peter gegenseitig zu, aber was die Füße angeht, gibt es nichts zu leugnen. Tom hat meine. Aber ist das ein ausreichender Grund, mir dieses leidige Thema alleine zu überlassen? Für meine Frau ja: »Er hat deine Füße, also kümmerst du dich auch darum. Basta!«
    Oh, wie ich Zehennägelschneiden hasse! Schon bei mir mache ich das ungern, aber bei Tom ist es schier ein Ding der Unmöglichkeit, Zehennägelschneiden bei Söhnen ist grauenhaft, ist Folter. Regelmäßig müssenTom und ich uns nach durchstandener Pein mit viel Süßigkeiten und Dauerfernsehen dafür belohnen (zur großen Freude meiner Liebsten).
    Selbstredend fallen auch das Waschen der Füße sowie der Schuhkauf in meinen Zuständigkeitsbereich. Wobei Tom und ich wirklich unschuldig sind, es passiert einfach, wir können nichts dafür, dass wir regelmäßig das Bad unter Wasser setzen und ausschließlich mit hippen Turnschuhen und schicken 100%-Polyester-Winterstiefeln aus dem Laden kommen (zur noch größeren Freude meiner Liebsten).
    Nebenbei: Herbst und Winter sind keine guten Jahreszeiten für Männerfüße. Des Geruchs wegen. Sommer ist allerdings auch nicht besser, weil man die Füße da öfter sieht – eine ausweglose Situation.
    Zumindest wenn’s ganz heiß ist, habe ich mir angewöhnt, in Flip-Flops zu gehen – ja, Männer können mit dem Makel der Hässlichkeit leben –, weil Tom nur so zum gelegentlichen Tragen von Sandalen zu bewegen ist.
    Letzten Sommerurlaub ist mir allerdings beim hektischen Umsteigen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof der eine Schlappen aufs Gleis gefallen und war für immer verloren.
    »Kann man nichts machen«, sagte ich, war zwar das Gespött der Leute, durfte aber in Turnschuhen weiterreisen.
    Was machte mein Sohn?
    Öffnete bei der nächsten Haltestelle die Zugtür, pfefferte eine Sandale aufs Gleis und grinste frech:
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