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Kreuzweg

Kreuzweg

Titel: Kreuzweg
Autoren: Diane Broeckhoven
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Brennnesseln, von denen Oma Gleis früher mit bloßen Händen die jungen Spitzen abgepflückt hatte, um daraus Suppe zu machen. Gleich daneben hatte mein Vater regelmäßig eine Schicht Gartenerde ausgehoben, um sie mit dem Kompost zu vermischen. So war eine kleine Kuhle entstanden.
    Spontan holte ich den schwarzen Plastiksack aus der Mülltonne und ließ den Inhalt dort hineingleiten. Der lila Fleischklumpen klatschte mit einem dumpfen Geräusch auf die ausgegrabene Stelle, wo er noch ein wenig wabbelte. Als sei darin noch ein Rest Leben. Mit einer kleinen Gartenschaufel warf ich Erde darauf. Dann holte ich den Zweig mit seinen vielen kleinen weißen Wurzeln aus der Küche und pflanzte ihn in den lockeren Boden. Es war, als grübe ich mein eigenes Grab.
    Erst viele Jahre später sah ich den Baum, gewachsen auf meinem Fleisch, genährt von meinem Blut. Ein dicker, leicht vornübergeneigter Stamm verzweigte sich in schnörkelige Ausläufer, an denen Tausende kleiner Blätter tanzten und raschelten.

VIERZEHNTE STATION:
J.s Leichnam wird ins Grab gelegt.
    Schon während des folgenden Sommers zeigte sich, dass der Weidenzweig, mein stummer Zeuge, es überlebt hatte. Zögerlich sprossen überall hellgrüne Blättchen hervor, die sich wie Glühwürmchen vor dem Dunkelgrün der Brennnesseln abhoben.
    Jener Teil von mir, den ich abgespalten hatte, das heißt der, der leben und vergessen wollte, schleppte sich am Ostersonntag zum Haus meines Vaters.
    Die Geisha wartete bereits am gedeckten Tisch. Sie trug ein dunkles Leinenkleid, um die Taille einen grellfarbenen Gürtel. Die Sonne spielte auf ihrem rabenschwarzen glänzenden Haar. Sie sah heute noch japanischer, noch perfekter aus als sonst. Ich selbst hatte einen Rock meiner Mutter angezogen, darüber trug ich einen ihrer Strickpullis über einem weiten viereckigen T-Shirt. In beide Körbchen meines BHs hatte ich Papiertaschentücher gesteckt.
    Sie musterte mich aufmerksam von Kopf bis Fuß.
    «Du siehst ja miserabel aus», sagte sie.
    Ich konnte ihr nur beipflichten.
    «Magen-Darm-Grippe eben», sagte ich also noch einmal.
    «Die geht um, stimmt. Anscheinend hat’s dich ganz schön erwischt, ich habe nämlich deinen Freund im Einkaufszentrum getroffen, der mir erzählt hat, dass du es amKarfreitag kaum bis zum Ende des Kreuzwegs geschafft hast. Ich musste wirklich an mich halten, um nicht zu dir zu gehen. Ich hätte dich gerne hier, in deinem eigenen Zimmer in dein eigenes, frisch bezogenes Bett gesteckt und gesund gepflegt. Schade, dass du manchmal so ein Sturkopf sein kannst.»
    Stur! Als ob ich ein Esel sei.
    «Ich bin eben am liebsten allein, wenn ich krank bin», sagte ich pikiert. «Du brauchst dir keine Sorgen machen. Es geht mir schon wieder viel besser, auch wenn ich ein paar Kilo verloren habe. Ich habe in den letzten Tagen kaum etwas gegessen. Aber literweise Tee und Wasser getrunken.»
    «Ach Mädchen …», sagte sie, während sie mir die Hand auf die Stirn legte, um zu fühlen, ob ich Fieber hätte. Meine Taschentücher wurden feucht. Ich schüttelte ihre Hand von mir ab und ging auf meinen Vater zu, der mit einer Kiste voll neuer Meisterwerke ins Zimmer kam. Er stellte die Tafeln, so groß wie Ansichtskarten, auf den Geschirrschrank. Erklärte mir, sie würden ein Ganzes bilden, seien aber untereinander austauschbar. Wie ein Zauberkünstler demonstrierte er, wie sich die lange gedeckte Festtafel über sieben Gemälde hinweg erstreckte. Es war also egal, ob sich die Rosinenplätzchen, doppelt gedeckten Torten und die mit Obst gefüllten Hörner des Überflusses hier oder dort befanden. Ob die kleinen Mädchen in den Sommerkleidchen oder die Jungen im Matrosenanzug links oder rechts auf dem Bild stünden. Die Geisha blickte gerührt von ihm zu seiner Komposition und verschob diesieben Bilder so, dass jeweils ein paar Zentimeter dazwischen lagen. «Mit ein wenig Abstand kommen sie besser zur Geltung», fand sie.
    Mir wurde fast übel, als ich sie und meinen Vater wie kleine Kinder puzzeln sah, ganz ineinander und in ihr Spielzeug vertieft. Mein leerer Bauch füllte sich mit Wut. Ich hätte ihn gerne verprügelt, ihn angeschrien, dass es mich nicht interessiere, wo das verdammte Gebäck oder die rosafarbenen Prinzessinnen standen. Dass ich weiß Gott andere Sorgen habe. Und er, der Herr Rektor, der in seiner Freizeit Hobbymaler war, ebenfalls – auch wenn er davon nicht die leiseste Ahnung hatte.
    Aber ich tat es nicht. Holte ein paarmal tief Luft und hielt
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