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Kreuzweg

Kreuzweg

Titel: Kreuzweg
Autoren: Diane Broeckhoven
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Süßigkeiten gegessen, Essen als Trostpflaster benutzt …»
    Frau Mortelmans sagte, sie hätte dafür vollstes Verständnis und wolle mich gern dabei unterstützen.
    «Du kannst dir das vielleicht nicht vorstellen, aber ich habe selbst einmal zwanzig Kilo mehr gewogen als heute. Auch nach einem Familiendrama. Ich bin sozusagen Experte auf diesem Gebiet», lachte sie.
    Sie unterstützte mich, gab mir ein paar Bücher über Diäten mit, die zu ihrer Zeit in Mode waren. Ich habe keines davon jemals auch nur durchgeblättert. Nach den Ferienbesorgte sie mir die Adresse einer vertrauenswürdigen Organisation, die in Paris Au-pair-Mädchen unterbrachte. Frau Mortelmans war es, die mir vorschlug, die Arbeit als Kinderbetreuerin mit einer Ausbildung an der dortigen Akademie der Künste zu kombinieren.
    Am Dienstag nach den Osterfeiertagen kaufte ich morgens eine Zeitung und im Laufe des Tages – in einem anderen Geschäft – noch zwei andere. Ich hatte das Gefühl, alle schauten zu mir herüber, als ich noch vor dem Abkassieren begann, die Titelseite zu lesen. Um nicht aufzufallen, nahm ich noch eine Rolle Klebestreifen sowie zwei Kugelschreiber aus den Regalen. Plus eine Zeitschrift, die versprach, man könne seine Speckröllchen noch vor den Sommerferien völlig wegschmelzen lassen, dank ihres spektakulären Fünfstufenplans.
    «Eine Mutter, die so etwas tut, müssten sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter bringen!»
    «Haben sie die denn gefunden?»
    «Ich glaube schon, doch! Zigeuner. Vermehren sich wie die Karnickel …»
    Die Kommentare der anderen Kunden schwirrten wie Mücken um meinen Kopf herum. Ich scheuchte sie fort und ließ das Zeitunglesen sein, bis ich zu Hause war.
    Neugeborener Findling auf Bahnsteig in E. zurückgelassen (von unserem Korrespondenten)
    In der Nacht von Karfreitag auf Ostersamstag wurde auf dem Bahnsteig (Gleis 1) des Bahnhofs in E. ein Babymännlichen Geschlechts ausgesetzt. Der oder die Täter konnten bisher noch nicht ermittelt werden. Bahnhofsvorsteher Theo Jespers fand bei Antritt seiner Frühschicht auf einer Bank den Karton vor, aus dem das Weinen eines Babys zu vernehmen war. Er nahm die kostbare Fracht mit ins Stellwerk und benachrichtigte sofort die Polizei. Das Baby, das in ein weißes Handtuch mit den Initialen des St.-Josef-Krankenhauses eingewickelt war, war höchstens ein oder zwei Tage alt. Es war gut versorgt und stellte sich nach ärztlicher Untersuchung im Kinderkrankenhaus in A. als kerngesund heraus. Es wird mit allen Mitteln nach der Person bzw. den Personen gefahndet, die das Kind ausgesetzt haben.
    Der bestürzte Bahnhofsvorsteher vermutet, der Täter habe sich irgendwo auf dem Bahnsteig verborgen, um dann den ersten Zug zu nehmen, der wenige Minuten nach seinem Fund in den Bahnhof einfuhr. In diesen Zug stiegen seines Wissens nur zwei Männer ein sowie eine Frau. Einer der beiden Männer, ein unordentlich gekleideter Dreißigjähriger, verhielt sich Jespers zufolge recht nervös. Aber durch das Anrücken der Polizei habe er dem nicht weiter Beachtung schenken können. Wer kennt diesen Mann, der den Zug um 5:32 Uhr nach A. genommen hat? Wer kennt Frauen, die vor Kurzem im St.-Josef-Krankenhaus in A. entbunden haben? Jeder, der sachdienliche Hinweise erbringen …
    Zudem gab es ein Interview mit dem Stationsvorsteher, der gerade selbst Vater geworden war. Er war stolz darauf,dass der Findling seinen abgewandelten Nachnamen bekommen hatte. Ein Textkasten enthielt, neben einer von Romulus und Remus angeführten Liste berühmter Findlinge, Information darüber, was weiter mit dem Baby geschehen werde, falls die leiblichen Eltern nicht gefunden würden. Es würde dann vorübergehend der Vormundschaft eines Gemeinderatsmitgliedes von E. unterstellt. Später würde es zur Adoption freigegeben werden und zu Eltern kommen, die schon lange auf einer Warteliste standen. Personen, die sich nun aus Mitgefühl dazu anboten, kamen nicht in Betracht. «Denken Sie daran, davon Abstand zu nehmen …», blieb mir im Gedächtnis haften. Denken Sie daran. Das war genau das Gegenteil von dem, was ich wollte: vergessen.
    Ich trennte die Seite aus der Zeitung, um sie auf die Größe von Omas gebügelten Taschentüchern zusammenzufalten. Jahrelang habe ich den Zeitungsausschnitt in einem braunen Briefumschlag aufbewahrt, der von meinem Wäscheschrank in diverse Taschen oder Koffer umzog. Die Zeit nagte mit ihren Mausezähnchen am Papier, bis es sich samtig weich anfühlte. Wie
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