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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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süßer Geruch sagt: >Schütze mich.< Es regnete stark an diesem Tag und das Kind drohte nass zu werden. Ich öffnete meinen Mantel und nahm es ganz eng an meine Brust und dachte zugleich daran, wie vergeblich es war, das Kind vor dem Regen zu schützen, weil«, seine Stimme war so belegt, dass sie ins Stocken kam, er atmete tief durch, »weil es dazu bestimmt war zu sterben. Und während mir das Unrecht, an dem ich mich beteiligte, immer klarer wurde, ging ich doch mit den anderen mit. Wir brachten das Kind schließlich ins Gemeindeamt. Als wir das ratlose und tapfere Kind da auf eine Bank setzten und es verloren dasitzen sahen, wurde es allen schwer ums Herz. Alle senkten den Blick und es wurde nichts mehr geredet, die meisten gingen wortlos oder verabschiedeten sich leise, während Kreuziger mit irgendwem telefonierteund sich erkundigte, was mit dem Kind zu geschehen habe. Ihm wurde Bescheid gegeben, dass man es noch heute holen werde. Irgendwann ging ich dann. Ich ging so langsam, dass ich erst abends daheim ankam. Auf dem Weg fuhr das Auto der Gestapo zweimal an mir vorbei, einmal ins Dorf hinein und gleich darauf wieder aus dem Dorf hinaus. Als es das zweite Mal an mir vorbeifuhr, zwang ich mich dazu, nicht näher hinzusehen, nicht zu versuchen, einen letzten Blick auf das Kind zu werfen. So ist das gewesen. Die Mühlbacherin ist noch am Abend desselben Tages hierhergekommen. Stellen Sie sich das vor! Es war schon finster. Sie ist in der Dunkelheit allein den weiten Weg zu mir gekommen, um zu fragen, wo man ihr Kind hingebracht hat. Wir saßen, die ganze Familie, beim Abendessen. Sie betrat den Raum und mein Vater begrüßte sie unwirsch. Er bot ihr nicht an, sich zu setzen, und ließ ihr auch nichts zu essen geben. Er fragte, was sie wollte. Sie wollte mich sprechen. Er fragte, warum. Sie sagte nichts und blieb stumm im Raum stehen. Ich wollte aufstehen, um mit der Mühlbacherin hinauszugehen, aber der Vater befahl mir, sitzen zu bleiben. Und ich - blieb sitzen. Im Zimmer war es vollkommen still, niemand aß, niemand rührte sich. Die Mühlbacherin fragte leise, als wären wir allein, ob ich wüsste, was mit ihrem Kind geschehen sei. Ich sagte, dass es geholt worden sei. Ich hatte das mit gesenktem Blick gesagt, und als ich aufschaute, war sie nicht mehr da. Ein oder zwei Wochen nach diesem Tag verschwand ich von zu Hause und kam erst nach dem Krieg wieder zurück, aber das ist eine andere Geschichte.«
    »Haben Sie eigentlich mit der Mühlbacherin jemals darüber gesprochen?«
    »Nein, nie. Ich wüsste nicht, wie, was man da sagen könnte.«
    »Aber anscheinend hat die Mühlbacherin Sie als jemanden empfunden, der, wenn auch heimlich, auf ihrer Seite stand.«
    »Wie kommen Sie darauf?« Meine Schlussfolgerung schien ihm zu missfallen.
    »Kaya! Kaya! Kannst du uns Tee bringen!«
    Offenbar war irgendwo im tieferen Hintergrund des Raumes noch jemand, und in der Tat zeigte sich jetzt ein orientalisches Mädchen. Sie mochte Chinesin sein, wirkte alterslos und hatte ein glattes und ungetrübt offenes Gesicht. Sie war mit einem merkwürdigen Umhang aus gelbem Leinen bekleidet und trug ein Tablett, auf dem sich eine Teekanne und zwei daumennagelgroße Teeschälchen mit Untertassen befanden. Es gehört nicht hierher, aber ich sage es trotzdem: Der Tisch, auf dem sie das Tablett ablud, war sehr tief, weshalb sie sich ebenfalls tief herabbeugen musste, um mit feinen Bewegungen der Finger uns beide mit Tee zu versorgen, und dabei hing das schwere Leinen so weit herab, dass ich nicht nur ihre Brüste, sondern ihren ganzen Körper sehen konnte, denn unter dem Umhang war sie - vollkommen nackt. Mir wurde heiß, noch bevor ich den Tee anrührte. Nachdem sie mir eingeschenkt hatte, wechselte sie die Stellung der Beine, spreizte sie, sodass ich ihre Schamlippen sehen konnte, und schenkte dem Maler ein. Dann verschwand sie wie auf einer Wolke.
    »Das ist mein Modell. Ich male sie«, sagte er.
    Der Tee stimmte mich sanft. Er ließ einen geradezu aus den Augen verlieren, was man vorhatte.
    »Hmm«, sagte ich nur.
    »In welchem Zusammenhang, wenn ich fragen darf, stehen all diese Vorkommnisse mit dem Mordfall Kreuziger? Sie wiesen auf das gleiche Geburtsdatum der beiden Opfer hin, aber ...«
    Er schien zu erwarten, dass ich etwas sagte, überhaupt hatte ich den Eindruck, dass er glaubte, mir nach seiner langen Erzählung nichts mehr schuldig zu sein.
    »Wenn Sie eine Gebirgskette malen ...«
    »Ja?«, sagte er erstaunt, aber nicht
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