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Reisefuehrer Sizilien, Liparische Inseln

Reisefuehrer Sizilien, Liparische Inseln

Titel: Reisefuehrer Sizilien, Liparische Inseln
Autoren: Peter Peter
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Bild: Blick auf den Ätna
    „Araaaance, arance fresche dell’Etna!” Carmines Marktschreiersingsang hallt durch die barocke Altstadtgasse Palermos mit ihren abblätternden Fassaden – lang gezogenes Falsett wie klagende arabische Musik. Jalousien öffnen sich. Schwarz gekleidete Witwen treten auf Balkons mit Kanarienvögeln. Lassen am Strick den paniere, den aus Weiden geflochtenen Einkaufskorb, hinunter. Auf dem bunt gerosteten, dreirädrigen Ape-Lastwagen türmen sich Pyramiden von Blutorangen. Der Parfümduft der Agrumenblätter mischt sich mit der brütenden Sommerhitze und dem Duft von in Knoblauch gebratenem Schwertfisch, der aus einer Trattoria mit Neonlicht und flimmerndem Fernseher dringt. Sicilia eterna, es gibt dieses entschleunigte, dieses ewige Sizilien tatsächlich. Aber wer ein paar verwirrend chaotische Altstadtviertel oder die sinnbetörende Hektik des Fischmarkts für die volle sizilianische Realität nimmt, hat definitiv den Anschluss an die Gegenwart verpasst.
    Radfahren und Wandern gilt unter jungen Sizilianern als hip
    Hupende Studentinnen in knappen Jeans und mit hüftlangen rabenschwarzen Locken, die auf ihrer Vespa einen „Mafia-No-Grazie”-Aufkleber platziert haben, sind weder Vorzeige- noch Alibifrauen, sondern schlichtweg Normalität. Die Großmuttergeneration der nonna hatte noch gezaudert, außer zum Kirchgang die Straße zu betreten. Aktivismus wie Fahrradfahren und Wandern (escursionismo) gilt plötzlich unter jungen Sizilianern als hip. Im Naturschutzgebiet Riserva dello Zingaro im äußersten Nordosten erproben einheimische Gruppen ihr neues Trekking-Schuhwerk – streifen vorbei an aufgelassenen Thunfischfangstationen, gelb blühender Wolfsmilch und türkisblauen Buchten. Renovierte Landgüter locken als agriturismi zivilisationsmüde Norditaliener ebenso wie auf Biokost eingeschworene deutsche Familien an. Nero d’Avola ist zum heimischen Kultwein avanciert – Topwinzer veredeln die Trauben durch Reifung in Tonamphoren.
    Im einzig wirklich touristischen Ort der Insel, in Taormina mit dem millionenfach fotografierten Ätnablick, sprießen wie zur Belle Epoque die Fünf-Sterne-Nobelherbergen aus dem Boden. Zahlungskräftige Gäste sind oft die weekender aus den nahen Großstädten. Umgekehrt mischen sich kaum Urlauber unter die quirlig-laute movida, die in Sommernächten Catanias lavagetünchtes Centro storico durchtobt. Hier feiert man ausgelassener als in der melancholischen Metropole Palermo. Provinzstädtchen wie Comiso oder Acireale verblüffen durch die Fülle eleganter Modeboutiquen – Mann ist mit dunklem Anzug und Krawatte in Sizilien am einheimischsten angezogen. Oder mit rosa T-Shirt als tifoso von Palermo Calcio – seit Jahrzehnten mischt endlich wieder ein sizilianisches Team in Italiens erster Fußball-Liga mit.
     
    Über 2400 Jahre alt: der Concordia-Tempel im Valle dei Templi bei Agrigent
    Ein weinerlicher Süden – dieses Bild stimmt nicht mehr
    Ein weinerlicher Süden, der sich als ausgebeutetes Opfer sieht, dem außer organisierter Kriminalität, Auswanderung und Armut kaum Alternativen bleiben, dieses Bild stimmt nicht mehr. Vittimismo als Geisteshaltung ist passé. Selbst die Krake Mafia ist zum Wirtschaftsmotor und zur cineastischen Attraktion mutiert. Seit die Provinz Palermo auf Reisemessen mit Betrieben wirbt, die den pizzo (Schutzgeld) verweigern, wirkt die Bedrohung eher tourismusfördernd. „Wir sind Antimafia” als Reiseerlebnis! Die Schiebermütze der sonnenverbrannten Landarbeiter und sizilianischen Gangster ist knatschbunt gestreift als freche Hollywood-Kopfbedeckung zurückgekehrt. Selbst die Baristinnen am Airport tragen mit anmutiger Lässigkeit ihre coppola.
    Die größte Mittelmeerinsel liegt Tunesien näher als Mailand
    Sicilia est insula – an dem lateinischen Paukersatz ist was dran. 25 709 km 2 , die größte Insel des Mittelmeers; und eine sehr besondere dazu. Sie liegt näher an Libyen und Tunesien als an Mailand. Und ist zu potent, zu kulturträchtig, zu modern, um sich hinter Provinzialität und mediterraner Grenzlage zu verstecken. In Syrakus improvisierten antike Griechen die ersten Komödien, die Tempel Agrigents faszinieren durch die Harmonie der Proportionen. Carpaccio oder Sashimi: Starköche aus Trapani oder Ragusa jetten nach Tokio, um Japaner in die Geheimnisse der cucina siciliana einzuweihen. Dolce donna mia ... am Hofe des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. reifte das Italienische zur Literatursprache.
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