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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen
Autoren: Dan Simmons
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sich zum Dock durchschlug. Dort lagen vier Boote vor Anker, und es gelang Harod, eines davon kurzzuschließen - ein vier Meter langes Schnellboot -, wobei er auf Fähigkeiten zurückgreifen mußte, die er seit seiner Zeit bei einer Jugendbande in Chicago nicht mehr angewendet hatte. Ein Wachmann, der unter den Eichen seinen Kater ausgeschlafen hatte, feuerte zwei Schüsse auf ihn ab, aber Harod war schon zwei Meilen draußen auf See, und von weiteren Verfolgern war nichts zu sehen.
    Er wußte, daß sich Dolmann Island nur etwa zwanzig Meilen von der Küste entfernt befand, und Harod überlegte sich, daß es selbst mit seinen begrenzten Navigationskünsten nicht allzu schwer sein sollte, die Küste von Nordamerika zu finden, wenn man immer nach Westen fuhr.
    Der Tag war verhangen, das Meer glatt wie ein Spiegel, als wollte es Sturm und Wahnsinn der vergangenen Nacht wiedergutmachen. Harod fand ein Seil, mit dem er das Steuer festband, zog die Segeltuchabdeckung über das Cockpit und schlief ein. Er erwachte keine zwei Meilen von der Küste entfernt, weil das Benzin ausgegangen war. Die ersten achtzehn Meilen seiner Reise hatten neunzig Minuten gedauert. Die letzten zwei Meilen erforderten weitere acht Stunden, und er hätte es wahrscheinlich nie geschafft, wenn ihn nicht ein kleines Fischerboot gesehen hätte, das neben dem Boot anlegte. Die Fischer aus Georgia nahmen Harod so lange an Bord, bis sie ihm Wasser, Essen, Creme gegen Sonnenbrand und ausreichend Treibstoff gegeben hatten, daß er damit bis zur Küste kam. Er folgte ihnen zwischen Inseln und bewaldeten Flecken, die noch so aussahen, wie sie vor dreihundert Jahren ausgesehen haben mußten, und schließlich legte er in einem kleinen Hafen in der Nähe eines Kaffs namens St. Mary’s an. Er stellte fest, daß er sich in Georgia befand und über ein Delta hinweg nach Florida sah.
    Harod gab sich als Landratte aus, wollte das Boot in Hilton Head gemietet und sich dann verirrt haben, und die Einheimischen konnten zwar kaum glauben, jemand könnte so dumm sein, daß er sich tatsächlich dermaßen verirrte, aber in Harods Fall waren sie bereit, es zu glauben. Er tat, was er konnte, um die Beziehungen zwischen den Küsten zu festigen, indem er seine Retter, die Besitzer des Jachthafens und fünf Schaulustige in die nächste Bar einlud - eine zwielichtige Kaschemme gleich an der Abzweigung zum Santa Maria State Park -, wo er für zweihundertachtzig Dollar Getränke spendierte.
    Die guten Jungs tranken immer noch auf Harods Wohl, als dieser Star, die Tochter des Barbesitzers, überredete, ihn nach Jacksonville zu fahren. Es war erst halb acht Uhr abends, noch eine Stunde Sommersonnenlicht blieb, aber als sie fast da waren, beschloß Star, daß es zu spät war, die ganzen fünfunddreißig Meilen nach St. Mary’s zurückzufahren, und dachte über die Möglichkeit nach, draußen in Jacksonville Beach oder Ponte Vedra ein Motelzimmer zu nehmen. Sie ging auf die Vierzig zu und dehnte ihre Polyesterhosen in einer Weise, die Harod nie für möglich gehalten hätte. Er gab ihr fünfzig Dollar Trinkgeld, bat sie, bei ihm vorbeizuschauen, wenn sie das nächste Mal in Hollywood war, und ließ sich von ihr vor dem Tor von United auf dem Jackson International absetzen.
    Harod hatte noch fast viertausend Dollar Bargeld in der Tasche - er ging ungern ohne Geld auf Reisen, und niemand hatte ihm gesagt, daß es auf der Insel nichts zu kaufen gab -, aber er bezahlte das Ticket erster Klasse nach L.A. mit seiner Kreditkarte.
    Er döste während des kurzen Anschlußflugs nach Atlanta, aber während des längeren Flugs nach Westen wurde überdeutlich, daß die Stewardeß, die ihm Dinner und Drinks brachte, der Meinung war, Harod wäre aus Versehen in die falsche Klasse geraten. Er sah an sich hinab, schnupperte an sich und verstand, warum sie diesen Eindruck hatte.
    Sein sportliches Giorgio-Armani-Seidenjackett war von dem Blut, das in der Nacht zuvor vergossen wurde, weitgehend verschont geblieben, aber er stank nach Rauch, Motoröl und Fisch. Sein schwarzes Seidenhemd hatte so viel Schweiß aufgesogen, daß man damit ein Entsalzungswerk auf Monate hinaus hätte beschäftigen können. Die Sarrgiorgio-Sommerhose und die Polo-Krokodilledermokassins waren, um es nicht besonders vornehm auszudrücken, zu Klump geschossen.
    Trotzdem gefiel es Harod nicht, daß er sich von einer dummen Stewardessenfotze so behandeln lassen mußte. Er hatte für den Service in der ersten Klasse bezahlt. Tony
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