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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen
Autoren: Dan Simmons
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Teetassen und schmutzigen Tellern, gebrauchte Bettwäsche stapelte sich eineinhalb Meter hoch, im offenen Schrank lag Schmutzwäsche, medizinische Instrumente lagen in dem ganzen Unrat herum, und vier Sauerstoffflaschen standen auf zwei Sackkarren. Die Plomben zweier Flaschen waren noch ungeöffnet was darauf hindeutete, daß sie Ersatz für diejenigen waren, die gerade Sauerstoff ins Plastikzelt der alten Frau bliesen. Einen Gestank wie in diesem Zimmer hatte Natalie noch nie erlebt. Sie hörte ein leises Rascheln und erblickte zwei Ratten, die aus dem Durcheinander schmutziger Teller und übelriechender Laken herausstarrten. Die Nagetiere schenkten den Leuten keine Beachtung, so als würden überhaupt keine Menschen hier leben. Natalie überlegte sich, daß das durchaus der Wahrheit entsprach.
    Die drei wandelnden Leichname machten in völligem Einklang die Münder auf. »Geh weg«, sagten sie im quengeligen Wimmern eines Kindes. »Ich will nicht mehr spielen.« Das Gesicht der alten Frau, das durch das transparente Plastik des Sauerstoffzeltes verzerrt und in die Länge gezogen wurde, bewegte sich hin und her, während der Mund feuchte Schmatzlaute von sich gab.
    Die drei Handlanger hoben vollkommen synchron die Hände. Grünes Licht der Monitore spiegelte sich auf den scharfen Skalpellen. Nur drei? überlegte Natalie. Sie hatte den Eindruck, als müßten es mehr sein, war aber zu müde, zu ängstlich und zu kaputt, weiter darüber nachzudenken. Später.
    Im Augenblick wollte sie etwas sagen, war aber nicht sicher, was. Vielleicht wollte sie diesen Zombies und der Person dahinter erklären, daß ihr Vater ein bedeutender Mann war - gewesen war -, viel zu bedeutend, ihn einfach zu vergeuden wie eine Nebenrolle in einem schlechten Film. Alle - jeder - hatten etwas Besseres verdient. Etwas in der Richtung.
    Statt dessen kam das Ding, das einmal ein Chirurg gewesen war, auf sie zu geschlurft, die beiden anderen folgten, und Natalie begnügte sich damit, rasch nach links auszuweichen, die Plombe der ersten Sauerstoffflasche aufzubrechen und das Ventil aufzudrehen und diese dann, so fest sie konnte, Dr. Hartman entgegenzuschleudern. Sie verfehlte ihn. Die Flasche war unvorstellbar schwer. Sie landete mit einem hallenden Poltern auf dem Boden, schlug Nancy Warden die Beine weg und rollte unter das Himmelbett, wo sie reinen Sauerstoff in das Zimmer ergoß.
    Hartman schwang das Skalpell mit einer kurzen, heftigen Bewegung nach ihr. Natalie sprang zurück, aber nicht schnell genug. Sie schob ein Wägelchen mit einer leeren Sauerstoffflasche zwischen sich und den Neurochirurgen und sah den Schlitz in ihrer weißen Bluse, den die Schnittwunde darunter bereits rot färbte.
    Culley kam auf die Ellbogen gestützt in das Zimmer gekrochen.
    Natalie spürte, wie die Wut in ihr neue Gipfel erstürmte. Sie und Saul und Rob und Cohen und Jackson und Catfish ... alle waren zu weit gegangen, jetzt einfach aufzuhören. Saul hätte die Ironie vielleicht zu schätzen gewußt, aber Natalie haßte Ironie.
    Angestachelt von dem Adrenalinstoß, der Müttern ermöglicht, Autos von ihren Kindern zu heben oder Geschäftsleuten, einen Tresor aus einem brennenden Gebäude zu tragen, hob Natalie die zweite, fünfundsiebzig Pfund schwere Sauerstoffflasche über den Kopf und warf sie Dr. Hartman direkt ins Gesicht. Das Ventil brach ab, als Flasche und Arzt zu Boden fielen.
    Nancy Warden kroch auf sie zu. Schwester Oldsmith hob das Skalpell und kam angestürmt. Natalie warf ein Laken mit Urinflecken über die große Schwester und duckte sich nach rechts. Die Gestalt unter dem Leintuch rannte gegen den Schrank. Eine Sekunde später schnitt das Skalpell durch den dünnen Stoff.
    Natalie hatte sich einen grauen Kissenbezug geschnappt und knüllte diesen gerade im Laufen zusammen, als Nancy Warden die Hand ausstreckte und sie am Knöchel festhielt.
    Natalie stürzte heftig auf den fadenscheinigen Teppich und versuchte, die Frau mit dem freien Fuß wegzutreten. Justins Mutter hatte ihr Skalpell verloren, klammerte sich aber mit beiden Händen an Natalies Bein fest und hatte offenbar die Absicht, Natalie mit sich unter das hohe Bett zu ziehen.
    Einen Meter entfernt zog sich Culley in das Zimmer. Durch seine Verletzung war die Bauchdecke durchgebrochen, er zog eine Spur Eingeweide bis zum dunklen Treppenabsatz hinter sich her.
    Schwester Oldsmith hatte sich völlig aus dem Laken befreit und drehte sich wie ein eingerosteter Straßenpossenreißer
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