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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen
Autoren: Dan Simmons
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festgebunden gewesen, von dem Scheiterhaufen gesprungen und durch das brennende Haus gerannt wäre, und damit hätte sie selbstverständlich die wohlüberlegte Szene ruiniert, für deren Inszenierung ich so große Opfer auf mich genommen hatte.
    Mein armes Haus. Meine liebe Familie. Der Gedanke an diesen Tag bringt mich immer noch zum Weinen.
    Howard war in den ersten Tagen recht nützlich, aber als ich mich im Dorf eingelebt hatte und sicher war, daß mich niemand verfolgte, schien es das Beste zu sein, daß er weit entfernt von mir einen Unfall hatte. Claude und Henri stammen aus einer ansässigen Familie, die mir im Lauf der Jahre ebenfalls gute Dienste geleistet hat.
    Ich sitze hier und warte auf Nina. Ich weiß jetzt, daß sie die Kontrolle über alle minderwertigen Rassen der Welt übernommen hat - Neger und Juden und Asiaten und so weiter -, und allein diese Tatsache schließt aus, daß ich jemals wieder nach Amerika zurückkehre. Willi hatte in den ersten Monaten unserer Bekanntschaft recht gehabt, als wir in einem Kaffeehaus in Wien saßen und höflich zuhörten, wie er mit wissenschaftlichen Ausdrücken begründete, daß die Vereinigten Staaten zu einer Nation von Bastarden geworden waren, einem Nest habgieriger Untermenschen, die nur darauf warten, die reinen Rassen zu stürzen.
    Jetzt kontrolliert Nina sie alle.
    In der Nacht auf der Insel war ich lange genug mit einer der Wachen in Verbindung geblieben, daß ich mit ansehen konnte, was Ninas Leute aus meinem armen Willi gemacht hatten.
    Selbst Mr. Barent hatte unter ihrer Kontrolle gestanden. Willi hatte die ganze Zeit recht gehabt.
    Aber ich gebe mich nicht damit zufrieden, einfach hier zu sitzen und darauf zu warten, bis Nina und ihre bastardisierten Unterlinge mich finden.
    Ironischerweise haben Nina und ihre Negerin mich auf die Idee gebracht. Die vielen Wochen, die Kapitän Mallory mit dem Fernglas beobachtet wurde, und das zufriedenstellende Ende dieser kleinen Charade. Das Erlebnis hatte mich an einen früheren Kontakt erinnert, eine fast zufällige Begegnung an jenem längst vergangenen Samstag im Dezember - an eben dem Tag, als ich glaubte, Willi wäre getötet worden, worauf sich Nina gegen mich wandte - während meines Abschiedsbesuchs in Fort Sumter.
    Zuerst hatte ich das Ding gesehen, wie es sich dunkel und lautlos wie ein Hai durch das Gewässer der Bucht bewegte, und dann der überraschende Kontakt mit dem Kapitän, der auf dem grauen Aufbau stand - sie nennen ihn Turm, wie ich inzwischen weiß - und das Fernglas um den Hals hängen hatte.
    Seither habe ich ihn sechsmal aufgespürt und diese Augenblicke geteilt. Sie sind angenehmer als die wahllosen geistigen Vereinigungen, die bei Mallory notwendig waren. Bei meinem Landhaus in Aberdeen kann man allein auf den Klippen stehen und das Unterseeboot beobachten, wie es in den Hafen einläuft. Sie sind stolz auf ihre Schlüssel und Codes und mehrfach gesicherten Prozeduren, aber ich weiß jetzt, was mein Kapitän schon seit langer, langer Zeit weiß: Es ist sehr, sehr leicht. Seine Alpträume sind meine Gebrauchsanweisungen.
    Aber wenn ich es tun will, sollte ich es bald tun. Weder der Kapitän noch sein Schiff werden jünger. Und ich auch nicht. Möglicherweise sind beide bald so alt, daß sie nicht mehr funktionieren. Wie ich.
    Die Angst vor Nina und die Pläne für eine derart gewaltige >Speisung< habe ich nicht jeden Tag. Aber sie kommen immer öfter.
    An manchen Tagen stehe ich auf und höre Gesang, wenn die Mädchen aus dem Dorf auf dem Weg zur Molkerei vor unserem Haus vorbeifahren. An solchen Tagen scheint die Sonne erstaunlich warm auf die kleinen weißen Blumen, die zwischen den verfallenen Mauern der Abtei wachsen, und ich bin zufrieden, einfach nur dazusein und das Schweigen und die Sonne mit ihnen zu teilen.
    Aber an anderen Tagen - kalten, dunklen Tagen wie diesem, wenn Wolken von Norden aufziehen - erinnere ich mich an den lautlosen Umriß des Unterseeboots, das durch die dunklen Wasser der Bucht gleitet, und ich frage mich, ob meine selbstauferlegte Abstinenz vergebens gewesen ist. An Tagen wie diesem frage ich mich, ob eine derart gigantische, endgültige >Speisung< mich nicht doch tatsächlich jünger machen würde. Wie Willi immer zu sagen pflegte, wenn er einen seiner hinterlistigen kleinen Streiche plante: Was habe ich zu verlieren?
    Morgen soll es wieder wärmer werden. Dann bin ich vielleicht glücklicher. Aber heute friere ich und bin etwas melancholischer Stimmung. Ich
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