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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen
Autoren: Dan Simmons
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mit dem Fiat auf der Straße nach Haifa und hielt ab und zu an, um die Aussicht und den Wintersonnenschein zu genießen. Sie war nicht sicher, wann sie diese Straße wieder einmal entlangfahren würde.
    Sie wurde von dichtem Militärverkehr auf dem Abschnitt der Küstenstraße aufgehalten, bevor sie die Ausfahrt zum Kibbuz Ma’agan Mikhael erreichte, aber als sie mit dem Fiat bergauf durch die verstreuten Haine der Johannisbrotbäume unter dem Anwesen der Eshkols fuhr, war sie allein.
    Saul wartete wie immer unter dem großen Fels beim unteren Tor und kam herunter, um sie einzulassen. Natalie sprang aus dem Auto, umarmte ihn, trat zurück und sah ihn an. »Sie sehen großartig aus«, sagte sie. Das stimmte beinahe. Er sah besser aus. Er hatte nicht mehr zugenommen, was er an Gewicht verloren hatte, und die linke Hand und das Gelenk waren nach der jüngsten Operation verbunden, aber sein Bart war so dicht und weiß wie der eines Patriarchen gewachsen, eine dunkle Bräune hatte die Blässe vertrieben, die so lange angehalten hatte, und sein Haarkranz war so lang geworden, daß sich die Haare fast bis auf die Schultern kräuselten. Saul lächelte und rückte die Hornbrille zurecht, wie Natalie es erwartet hatte. Das machte er immer, wenn er verlegen war.
    »Sie sehen auch prima aus«, sagte er, sperrte das Tor ab und winkte dem jungen Sabra zu, der von seinem Wachtposten herübersah. »Gehen wir ins Haus. Das Essen ist fast fertig.«
    Als sie zum Haupthaus fuhren, betrachtete Natalie seine verbundene Hand. »Wie geht es?« fragte sie.
    »Was? Oh, ausgezeichnet«, sagte Saul, rückte die Brille zurecht und betrachtete den Verband, als sähe er ihn zum erstenmal. »Man denkt immer, ein Daumen wäre unersetzlich, aber wenn er weg ist, merkt man erst, wie gut man ohne ihn zurechtkommt.« Er lächelte sie an. »Solange dem anderen nichts passiert.«
    »Seltsam«, sagte Natalie.
    »Was?«
    »Zwei Schußwunden, Lungenentzündung, eine Gehirnerschütterung, drei gebrochene Rippen und so viel Schürf- und Schnittwunden, daß ein ganzes Footballteam eine volle Spielzeit damit glücklich werden würde.«
    »Juden sind zäh.«
    »Nein, das meine ich nicht«, sagte Natalie, die den Fiat in die Garage fuhr. »Ich meine, diese ganzen schweren Verletzungen, und der Biß dieser Frau war es, was Sie fast umgebracht hätte - jedenfalls hätten Sie beinahe den Arm verloren.«
    »Bisse von Menschen sind berüchtigt dafür, daß sie sich entzünden«, sagte Saul und hielt ihr die Hintertür auf.
    »Miß Sewell war kein Mensch mehr«, sagte Natalie.
    »Nein«, sagte Saul und rückte sich die Brille zurecht. »Ich denke, zu dem Zeitpunkt war sie es nicht mehr.«
    Saul hatte ein köstliches Mahl mit Lamm und frisch gebackenem Brot zubereitet. Beim Essen sprachen sie über Belanglosigkeiten - Sauls Vorlesungen an der Universität von Haifa, Natalies jüngsten Fotoauftrag für die Jerusalem Post, das Wetter. Nach dem Dessert, Käse und Obst, wollte Natalie das Aquädukt besuchen und den Kaffee mitnehmen, daher füllte Saul die Thermosflasche aus Edelstahl, während Natalie in ihr Zimmer ging und sich einen dicken Pullover aus dem Koffer holte. Die Dezemberabende an der Küste konnten recht kalt sein.
    Sie gingen langsam bergab an den Orangenhainen vorbei, stellten Betrachtungen über das sanfte Licht an und versuchten, die beiden jungen Sabra zu übersehen, die ihnen mit Uzis über den Schultern in respektvoller Entfernung folgten.
    »Davids Tod tut mir leid«, sagte Natalie, als sie gerade die Sanddünen erreicht hatten. Vor ihnen nahm das Mittelmeer einen Kupferfarbton an.
    Saul zuckte die Achseln. »Er hat ein erfülltes Leben gehabt. Der zweite Schlaganfall war gnädigerweise schnell.«
    »Tut mir leid, daß ich die Beerdigung verpaßt habe«, sagte Natalie. »Ich habe den ganzen Tag versucht, aus Athen rauszukommen, aber sämtliche Flüge hatten Verspätung.«
    »Sie haben sie nicht verpaßt«, sagte Saul. »Ich habe oft an Sie gedacht.« Er winkte den Leibwächtern und sagte ihnen damit, sie sollten bleiben, wo sie waren, dann ging er voran auf das Aquädukt. Das horizontale Licht verwandelte ihre Schatten in Giganten auf den welligen Dünen.
    Auf halbem Weg der weiten Strecke hielten sie an, und Natalie hielt sich die Ellbogen. Der Wind war kalt. Drei Sterne und eine schmale Mondsichel waren im Osten zu sehen.
    »Haben Sie immer noch vor, morgen aufzubrechen? Zurückzukehren?«
    »Ja«, sagte Natalie. »Elf Uhr dreißig vom Ben
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