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Kopfgeldjagd

Kopfgeldjagd

Titel: Kopfgeldjagd
Autoren: Florian Homm
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zurückkehrte, und der Vater seiner zweiten Frau war der Nazi-Bürgermeister unserer Heimatstadt Oberursel.
    Anschließend schlug Barbara die Hacken zusammen wie ein Feldwebel der SS und tat so, als wolle sie vor der Menge salutieren. Da konnte ich mich nicht mehr halten und fing vor unterdrücktem Lachen an zu schluchzen, was von außen wie ein Weinkrampf aussah. Die Leute um uns herum fürchteten, der Tod meines Großvaters sei zu viel für mich. Ein äußerst besorgtes Paar in den Neunzigern kam auf mich zu und drückte fest meinen Arm und meine Hand, um mich zu beruhigen. Entweder würde ich in lautes, hysterisches Lachen ausbrechen, in die Hose pinkeln oder beides.
    Um das zu verhindern, biss ich mir so fest auf meine Unterlippe, dass sie anfing zu bluten, und zwar ziemlich stark. Der Blutgeschmack hatte eine umgehende ernüchternde Wirkung. Als ich die ersten Tropfen herunterschluckte, gelang es mir, mich zusammenzunehmen und jeden Blickkontakt mit meiner Schwester, den Trauernden und dem netten alten Paar zu vermeiden. Ich starrte dumpf auf meine billigen, polierten schwarzen Schuhe und ordnete meine Gedanken und Gefühle. Einige Minuten später entschuldigte ich mich, indem ich sagte, ich fühle mich nicht wohl, fand eine Parkbank und las die lokale Zeitung, die ich mitgebracht hatte, für den Fall, dass ich mich bei der Beerdigung langweilen sollte.
    Nach einigem Nachdenken und angesichts der Tatsache, dass sie mich enterbt hatten, kam ich zu dem Schluss, dass Sophie und Willi Homm kleinkarierte, elende, heuchlerische, kleinbürgerliche ehemalige Nazis waren. Folglich verdienen sie keine weitere Aufmerksamkeit.
    Als meine Mutter meinen Vater Jochen heiratete, hätte der Gegensatz nicht größer sein können. Jochen war der Prototyp eines Ariers: eine Statur von 1,94 Metern, blaue Augen, blond, athletisch, ein herausragender Sportler, Skifahrer, Tennisspieler und Fechter. Er kam aus einer Kleinunternehmerfamilie. Meine Mutter war ein Mitglied der Oberschicht. Als Favorit der Hitlerjugend hatte man meinen Vater 1944 aufgefordert, Hitlers Leibwache zu verstärken, aber er lehnte ab. Im Frühjahr 1945 wurden mein Vater und seine Staffel aus 14- bis 16-jährigen Jungen aufgerufen, nach Berlin zu marschieren, um den Führer beim Endsieg zu unterstützen. Mein Vater und ein Freund machten sich im Morgengrauen aus dem Staub. Seine Klassenkameraden starben entweder im Endkampf oder in russischen Bleiminen nach dem Krieg. Zu desertieren war die richtige Entscheidung gewesen.
    Nach außen wirkte mein Vater charmant. Er war jedoch mit allen Wassern gewaschen, berechnend und kaltblütig. Sein Sinn für Humor und Flirts war äußerst ausgeprägt, zumindest an deutschen Standards gemessen. Die Frauen scharten sich um ihn wie Motten um das Licht. Er hatte auch eine väterliche, fürsorgliche Seite, die mit der Zeit aber nachließ. Ich erinnere mich daran, dass er eine ganze Nacht an meiner Bettkante verbrachte, nachdem ich mir eine fürchterlich schmerzhafte Verletzung am Knöchel zugezogen hatte. Außerdem arbeitete er Tag und Nacht, um meine private Schul- und Hochschulausbildung zu bezahlen. Ich begleitete ihn oft auf Geschäftsreisen, auf denen er mir seine Weltsicht nahebrachte. Er sagte mir, wie ich an die Spitze der Pyramide gelangen konnte. Er war fürsorglich, sogar aufmerksam, aber von dem Zeitpunkt an, als ich mein Studium an der Universität von Harvard aufnahm, begannen sich unsere Prioritäten dramatisch auseinanderzuentwickeln. Genau wie Necko war Jochen zunehmend am gesellschaftlichen Aufstieg interessiert, wohingegen ich zunehmend daran interessiert war, meine Fähigkeiten zu entwickeln und mir einen Lebenslauf zu erarbeiten, mit dem ich meinen zukünftigen Reichtum maximieren konnte. Anders als mein Vater und mein Großonkel waren mir meine Reputation und mein gesellschaftlicher Status völlig egal, solange sie nicht mit meinen Plänen kollidierten, Milliardär zu werden. Drei Generationen unkluger Männer hatten ihre Seelen und Familien für Geld und sozialen Status verkauft.
    Jochen nahm nicht an meiner Hochzeitsfeier 1989 im Schweizer Gruyère teil – ich hatte den Fehler begangen, mich anders als meine Geschwister während des Scheidungsprozesses meiner Eltern nicht vollständig von meiner Mutter loszusagen –, sondern beobachtete die Feierlichkeiten mit seiner Geliebten von der Schlossmauer aus. Während des Scheidungskriegs versuchte ich, meine Eltern gleich zu behandeln und zu beiden Kontakt zu
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