Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopfgeldjagd

Kopfgeldjagd

Titel: Kopfgeldjagd
Autoren: Florian Homm
Vom Netzwerk:
mütterlicherseits sowie meinen Onkel Mockel lernte ich nie kennen, weil sie 1948 entweder bei einem Autounfall starben oder Opfer eines Mordanschlags durch amerikanische Soldaten wurden. Genaues weiß man nicht. Meine Großmutter, Neckos Schwester, war Berichten zufolge eine elegante und attraktive Frau. Sie war in einer privilegierten Umgebung aufgewachsen, umsorgt von Hausmädchen, Köchen und Privatlehrern. Meine Großmutter war offen, gefühlsbetont und bodenständiger als mein Großvater. Beide liebten das gute Leben. Meine Großeltern führten eine offene Ehe, was damals ein völlig unvorstellbares Konzept war. Ihre Tagebücher und Briefe enthüllen jedoch eine intensive und glückliche Beziehung. Sie waren liberal, extrem tolerant und nachsichtig. Ihre Kinder genossen alle Privilegien und kannten kaum Einschränkungen. Zweifellos überschütteten ihre Eltern sie mit Liebe.
    Mein Großvater, Dr. Hans Lang, promovierte in Jura und verschob in den Dreißigerjahren Waffen für die Opposition. Er schrieb zwei Artikel, in denen er die Nazis scharf kritisierte, und als Folge davon verlor er seine Anwaltslizenz. In seinen frühen Dreißigern zog er von Bayern nach Berlin und arbeitete erfolgreich als Textilproduzent und Großhändler. Nach dem Anschluss im Jahr 1938 wurde er ins logistische Hauptquartier der Reichswehr in Berlin berufen, wo er bis 1945 blieb. Verwandten zufolge hat er anscheinend die Alliierten während des gesamten Kriegs von einem heimlichen Kommunikationsstandort in Hofheim aus mit hochsensiblen Informationen versorgte. Er wurde nie eingezogen. Seine Sprachkenntnisse (Russisch, Ungarisch, Polnisch, Italienisch, Spanisch, Englisch, Griechisch und Serbokroatisch), sein großes Organisationstalent und seine breit gefächerten internationalen Kontakte waren für die Nazis einfach zu wichtig, um sie auf dem Schlachtfeld zu verschwenden. Diesen rätselhaften, opportunistischen Agent provocateur hätte ich gerne kennengelernt; er war sicher ein interessanter Mann.
    Noch am selben Tag, an dem die Alliierten in seiner Heimatstadt einmarschier­ten , wurde er entnazifiziert. Normalerweise dauerte das bei einem hochrangigen Technokraten Monate, wenn nicht gar Jahre. Necko wurde zum Beispiel als Kriegsverbrecher verurteilt. Selbst nach seiner Haftentlassung unterlag er noch mehrere Jahre strengen Reise- und Arbeitsbeschränkungen. Mein Großvater wurde jedoch gleich nach dem Krieg zum hochrangigen Verbindungsoffizier zwischen dem Versorgungssystem der alliierten Mächte und den südlichen und mitteldeutschen Kommunen Deutschlands ernannt. In der Autobiografie meiner Tante (Kristin ­Feireiss, Wie ein Haus aus Karten , Ullstein Verlag) las ich, dass er einer der größten deutschen Schwarzmarkthändler seiner Zeit gewesen sein soll.
    Meine Mutter und verschiedene Verwandte vermuten, er habe während des größten Teils des Krieges als Spion für die Alliierten gearbeitet, vor allem die Amerikaner, was seine umgehende Entnazifizierung und seine bemerkenswerten Privilegien nach dem Krieg erklären würde. Seine »offiziellen« Unternehmen erwirtschafteten Millionen. Es ist anzunehmen, dass seine heimlichen Geschäfte noch profitabler waren. »Er lebte ein sehr gefährliches Leben«, meinte seine Mutter, und seine Tochter Tini sagte: »Mein Vater hatte zahlreiche mächtige Feinde.« Genau wie ich versuchte er, seine persönlichen Risiken abzusichern. Während ich mit der dunklen Seite paktierte, mächtigen kurdischen Führern und später der IRA, zählte mein Großvater den Frankfurter Polizeipräsidenten zu seinen »bevorzugten« Geschäftspartnern, um sich abzusichern. Ein Partner, dem ein Vermögen geboten wurde, verbrachte dafür drei Jahre im Gefängnis, um meinen Großvater herauszuhalten.
    Der deutsche Schwarzmarkthandel war entsprechend der alliierten Zonen aufgeteilt. Die Franzosen waren im Westen aktiv, die Engländer im Norden und die Amerikaner in Mittel- und Süddeutschland. Da die Russen, was das Warenangebot betraf, nicht viel zu bieten hatten, waren in der Ostzone alle Gruppen vertreten. Nur wenige Deutsche genossen im Schwarzmarkthandel eine herausragende Stellung, schon gar nicht als unabhängige Händler. Angesichts seines umfassenden Logistikverständnisses und seiner Kontakte zu hochrangigen Vertretern des amerikanischen Versorgungssystems fiel es meinem Großvater naturgemäß leicht, amerikanische Waren an seine Landsleute zu verhökern. Das würde auch erklären, wie ein Mann, dessen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher