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Kopfgeldjagd

Kopfgeldjagd

Titel: Kopfgeldjagd
Autoren: Florian Homm
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Arbeit von einhundert Mitarbeitern konnten sich leicht zu einem zusätzlichen Jahresgewinn von 100.000 D-Mark aufaddieren – in einem Jahrzehnt war das eine Million, ohne Aufzinsungseffekt. Eine Million D-Mark war vor dreißig Jahren ein stattliches Vermögen. In der Harvard Business School zeigte einem niemand, wie man Millionär wurde, indem man seine Mitarbeiter jeden Tag einige Minuten extra schuften ließ. Wenn das bedeutete, dass man die Mitarbeiter etwas öfter anschreien musste als üblich, dann lohnte sich der Aufwand eindeutig. Wenn ein Lieferant oder Subunternehmer nicht die Mittel hatte, Anwälte zu engagieren, erhielt er möglicherweise kein Geld, und wenn er sie hatte, erhielt er möglicherweise weitaus weniger als erwartet. Mein Vater wusste, wie man mit harten Bandagen kämpft. Und das wusste ich auch.
    Zwei Dinge waren für Jochen von größter Bedeutung. Erstens: Wenn man zweifelhafte Dinge tat, um voranzukommen, war das in Ordnung, solange man seine Spuren verwischte und sich niemals erwischen ließ. Zweitens: Immer eine perfekte Fassade der Respektierlichkeit wahren. Dieser Fokus auf skrupellosem sozialem Aufstieg ohne jede Rücksicht auf andere hat definitiv meine Psyche versaut. Wahrscheinlich erklärte es auch, warum ich niemals zuließ, dass Drogen oder Regelverstöße meinen Aufstieg behinderten. Image und sozialer Status waren für meinen Vater einfach alles. Er war eitel, äußerst diszipliniert und emotional unterkühlt. Meine Mutter war emotional und unbeständig. Nach ungefähr einem Jahrzehnt einer ziemlich zivilen Koexistenz zum beiderseitigen Nutzen begannen sie, mindestens einmal pro Woche heftig zu streiten. Beide unterstützten als Eltern jedoch weiterhin intensiv unseren Aufstieg, solange wir auf den ihnen wichtigen Gebieten Erfolg hatten.
    Neben einer ausgeprägten Erziehung in Amoralität war die weitere feste Säule meiner Jugend die ständigen erbitterten Auseinandersetzungen zwischen meiner Mutter und meinem Vater. Und sie fanden keineswegs hinter verschlossenen Türen statt, sondern in Gegenwart von uns Kindern und später auch in Gegenwart anderer Verwandter und Freunde.
    Angesichts der gewalttätigen Natur unseres Zuhauses wurde Brutalität zu einer Form des Selbstausdrucks. Mein Bruder und ich trugen ungeheure Kämpfe aus, bei denen wir alle Waffen von faustgroßen Steinen, Spaten, Luftgewehren, Messern, Schaufeln bis hin zu Äxten einsetzten, um uns gegenseitig den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Mein Körper und mein Kopf weisen zahlreiche Narben auf. Unseren letzten Kampf trugen wir aus, als wir beide schon an der Universität studierten. Ich gewann um Längen.
    Hajos und mein verdientermaßen schlechter Ruf als gewalttätige Schlägertypen blieb uns bis Anfang 20 erhalten. Außerdem waren alle Homm-Kinder chronische Ladendiebe. Ich begann im zarten Alter von elf Jahren, mich in Einbrüchen zu versuchen, und verschaffte mir damit genügend Geld, um mehrere Angelruten und für meine Freunde und mich Schokolade für mehrere Monate zu kaufen.
    All das soll nicht heißen, dass ich keinen Sinn für Richtig und Falsch gehabt hätte, denn den hatte ich. Ich war der loyalste Freund, den man sich wünschen konnte, und ein gefürchteter Feind. Aber weil sich mein Sinn für Gut und Schlecht in einem generell amoralischen Kontext mit einem Mangel an Aufsicht verband, führte das zur Entwicklung eines eher eigenwilligen moralischen Kompasses. Aber die Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit sind selten einfach und unkompliziert.
    Ich ging zur Frankfurt International School, weil die öffentliche Schule in Oberursel politisch unglaublich links war und meine Eltern nicht wollten, dass mein Bruder und ich überzeugte Kommunisten wurden wie Barbara, die Mitglied des maoistischen Kommunistischen Bunds Westdeutschlands, kurz KBW, war. Der ehemalige Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, wurde in Oberursel umgebracht, und Ulrike Meinhof stammte ebenfalls aus Oberursel. Im Wesentlichen handelte es sich bei den Terroristen um Kinder wohlhabender Familien aus der Mittel- und oberen Mittelschicht. Das führte zu einigen lebhaften Familiendiskussionen. Als mein Vater meine Schwester in seinem Mercedes zur Schule fuhr, bestand sie darauf, 500 Meter vor dem Schultor auszusteigen, damit niemand sah, dass sie aus einer Familie von »Kapitalistenschweinen« stammte. Alle liefen in Militärparkas herum und hielten sich für Castro oder Che Guevara auf Mission in Bolivien.
    Ich
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