Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
Motel, das Selma mir gebucht hatte, hieß Nota Lake Cabins und bestand aus zehn rustikalen Hütten auf einem waldigen Grundstück, direkt neben der Hauptdurchgangsstraße etwa neun Kilometer außerhalb der Stadt. Toms verwitwete Schwester Cecilia Boden war Besitzerin und Geschäftsführerin der Anlage. Als ich in den Parkplatz einbog, merkte ich, daß die Gegend für meinen Geschmack etwas zu abgelegen war. Ich bin im Tiefsten meines Herzens ein Stadtmensch und fühle mich umgeben von Restaurants, Banken, Schnapsläden und Kinos eigentlich am wohlsten. Da Selma für mich bezahlte, wollte ich keinen Protest einlegen, und offen gestanden sahen die Fassaden aus rohen Baumstämmen auch interessanter aus als die Motels im Ortskern. Schön blöd von mir.
    Cecilia telefonierte gerade, als ich hereinkam. Ich schätzte sie auf sechzig, doch sie war so klein und kurvenlos wie ein zehnjähriges Mädchen. Sie trug ein rotkariertes Flanellhemd, das sie in dunkle, steife Blue jeans gesteckt hatte. Einen nennenswerten Po besaß sie nicht, hinten war lediglich eine flache Ebene. Ich wünschte jetzt schon, sie würde aufhören, ihr kurzgeschnittenes Haar mit Dauerwellen zu Tode zu quälen. Außerdem fragte ich mich, was wohl geschehen würde, wenn sie unter dem eintönigen Braun des Färbemittels, mit dem sie es behandelt hatte, das natürliche Grau hervorkommen ließe.
    Der Empfangsbereich war klein, ein mit Kiefernholz getäfeltes Kabuff, kaum groß genug für einen schmalen gepolsterten Stuhl und das Regal mit den Prospekten, die die unzähligen Freizeitangebote in der Umgebung anpriesen. Eine Seitentür mit der Aufschrift Direktion führte vermutlich in ihre Privatwohnung. Die Rezeption bestand aus einer dreißig Zentimeter breiten Schreibunterlage auf der unteren Hälfte der teilbaren Tür, die die Mini-Lobby vom Büro trennte, wo die üblichen Utensilien zu sehen waren: Aktenschränke, Schreibmaschine, Registrierkasse, Karteikasten, Quittungsblock und das große Buch mit den Reservierungen, das sie zur Beantwortung der Fragen ihres Anrufers zu Rate zog. Sie schien ein klein wenig verärgert über die Fragen zu sein, die ihr gestellt wurden. »Ich habe am vierundzwanzigsten Zimmer frei, aber nicht am Tag danach... Wenn Sie Fische ausgenommen und eingefroren haben wollen, versuchen Sie es im Elms oder im Mountain View... Mhm... Aha... Tja, etwas anderes kann ich Ihnen nicht anbieten...« Doch dann lächelte sie vor sich hin, als amüsierte sie sich über einen nur ihr bekannten Witz. »Nö... Kein Zimmerservice, kein Kraftraum, und die Sauna ist außer Betrieb...«
    Während ich darauf wartete, daß sie zu telefonieren aufhörte, nahm ich aufs Geratewohl ein paar Prospekte aus dem Regal und informierte mich über Werktags-Angebote für Skipässe und Übernachtungen in näher bei Mammoth Lakes und Mammoth Summit gelegenen Orten. Dann studierte ich den lokalen Veranstaltungskalender. Ich hatte das große alljährliche Forellen-Derby verpaßt, das in der Vorwoche stattgefunden hatte. Außerdem war ich für die große Angelshow im Februar zu spät dran. So ein Pech. Ich las, daß die Festlichkeiten im April eine zweite Angelshow umfaßten, dazu den Presseempfang zur Eröffnung der Forellensaison, die offizielle Eröffnung der Forellensaison und eine Leistungsschau des Fischereivereins, eine Feier zum Tag des Maultiers, und später folgte noch ein 30-Kilometer-Lauf im Mai. Es sah ganz danach aus, als hätte ich Gelegenheit, mir die Eastern Sierras wahlweise wandernd, beim Rucksack-Trekking oder auf dem Rücken eines Maultiers zu erschließen. Oben lauerte dann vermutlich eine rasende Horde hungriger wilder Tiere auf uns, die uns ansprangen und nach uns schnappten, während wir uns über gefährlich schmale Pfade den Weg nach unten bahnten und die Felsbrocken die Berghänge hinab in den gähnenden Abgrund polterten.
    Ich sah auf und stellte fest, daß Cecilia Boden mich mit verschlossener Miene anstarrte. »Sie wünschen?« fragte sie. Mit den Händen hielt sie die teilbare Tür umklammert, als wollte sie mich davon abhalten, hindurchzugehen.
    Ich erklärte ihr, wer ich war, und mit einer Handbewegung lehnte sie die Kreditkarte ab, die ich ihr anbieten wollte. Mit geschürzten Lippen sagte sie: »Selma hat gesagt, ich solle die Rechnung direkt an sie schicken. Ich habe zwei Hütten frei. Sie können sich eine aussuchen.« Sie nahm einen Schlüsselbund vom Haken und öffnete die untere Hälfte der Tür. Indem sie es mir überließ, ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher