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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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zu folgen, ging sie zur Vordertür hinaus und einen mit Zedernrinde übersäten Weg entlang. Die Luft draußen war feucht und roch nach Lehm und Kiefernharz. Ich hörte den Wind durch die Bäume wehen und die Eichhörnchen schnattern. Mein Auto ließ ich dort stehen, wo ich es geparkt hatte, und wir gingen zu Fuß weiter. Der schmale Weg, der zu den Hütten führte, war durch eine zwischen zwei Pfosten gespannte Kette abgesperrt. »Ich will keine Autos in diesem Teil der Anlage. Die Erde wird bei schlechtem Wetter zu stark aufgewühlt«, sagte sie, als hätte ich sie danach gefragt.
    »Tatsächlich«, murmelte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    »Wir sind fast ausgebucht«, fuhr sie fort. »Ungewöhnlich für März.«
    In ihren Augen war das vermutlich Konversation, und so gab ich als Erwiderung entsprechende Laute von mir. Die Hütten vor uns lagen etwa zwanzig Meter auseinander, getrennt durch kahle Ahornbäume, Hartriegelsträucher und genügend Douglastannen, um sich an eine Weihnachtsbaumplantage zum Seiberfällen erinnert zu fühlen. »Warum heißt der Ort Nota Lake? Ist das indianisch?«
    Cecilia schüttelte den Kopf. »Nö. Früher war die Nota ein Zeichen, das Kriminellen in die Haut eingebrannt wurde, um sie als Gesetzesbrecher zu kennzeichnen. So wußte man immer, wer ein Schurke war. Ein Trupp Desperados ist hier in der Gegend hängengeblieben; Verbrecher, die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts aus England deportiert worden sind. Aus gutem Grund wurden sie allesamt gebrandmarkt: Mörder und Räuber, Taschendiebe, Sittenstrolche — das Übelste vom Üblen. Wenn ihre Strafe verbüßt war, wurden sie freigelassen und verschwanden in den Westen, wobei manche hier endeten. Ihre Nachkommen haben für die Eisenbahngesellschaft gearbeitet und zusammen mit schwarzen und asiatischen Tagelöhnern harte Knochenarbeit geleistet. Die halbe Ortschaft ist mit diesen Sträflingen verwandt. Muß ein lüsterner Haufen gewesen sein. Allerdings weiß kein Mensch, wo sie die Frauen hergeholt haben. Per Post bestellt, nehme ich an.«
    Wir waren an der ersten Hütte angekommen, und sie fuhr in wenig verändertem Tonfall fort, ziemlich ausdruckslos und kaum moduliert: »Das ist Willow. Ich gebe ihnen Namen statt Nummern. Das finde ich hübscher.« Sie steckte ihren Schlüssel ins Schloß. »Jede ist anders. Sie haben die Wahl.«
    Willow war geräumig, ein kieferngetäfeltes Zimmer von etwa sechs mal sechs Metern mit einem Kamin aus wulstigen Felsbrocken. Die innere Feuerstelle war rußgeschwärzt, und Holz lag ordentlich gestapelt auf dem Rost. In der Luft hing ein stechender Geruch nach unzähligen Hartholzfeuern. An der einen Wand stand ein Bettgestell aus Messing, dessen Matratze wie ein kleiner Hügel geformt war. Die Steppdecke hatte ein wildes Patchworkmuster und sah aus, als rieche sie nach Moder. Auf dem Nachttisch standen eine Lampe und ein Digitalwecker. Der Teppich war ein Oval aus geflochtenen Flicken, ausgebleicht und völlig flachgetreten.
    Cecilia öffnete eine Tür zur Linken. »Hier sind Badezimmer und Wandschrank. Wir haben allen Komfort. Es sei denn, Sie angeln«, fügte sie als kleine Nebenbemerkung zu sich selbst hinzu. »Bügeleisen, Bügelbrett, Kaffeemaschine, Seife.«
    »Sehr schön«, sagte ich.
    »Die andere Hütte heißt Hemlock. Sie steht drüben bei dem Kiefernwäldchen am Fluß. Sie hat eine Kochnische, aber keinen Kamin. Ich kann Sie hinbringen, wenn Sie möchten.« Meist sprach sie, ohne Blickkontakt aufzunehmen, und richtete ihre Äußerungen an einen Fleck gut anderthalb Meter links von meinen Füßen.
    »Ist schon gut. Ich nehme die hier.«
    »Wie Sie wünschen«, sagte sie und reichte mir den Schlüssel. »Die Autos bleiben auf dem Parkplatz. Hinterm Haus liegt noch mehr Holz. Achten Sie auf Schwarze Witwen, wenn Sie Holz holen. Ein Münztelefon hängt vor dem Büro. Erspart mir den Zirkus, Telefongespräche abzurechnen. Etwa fünfzig Meter in dieser Richtung die Straße runter ist ein Imbißlokal. Sie können es gar nicht verfehlen. Frühstück, Mittag- und Abendessen. Von sechs Uhr morgens bis halb zehn abends geöffnet.«
    »Danke.«
    Nachdem sie gegangen war, wartete ich einen angemessenen Zeitraum ab, um ihr genug Zeit zu geben, vor mir am Büro anzukommen. Ich kehrte zum Parkplatz zurück und holte meine Tasche sowie die Reiseschreibmaschine, die ich mitgebracht hatte. Ich hatte die freien Stunden bei Dietz dazu genutzt, längst fällige Schreibarbeiten zu erledigen. Meine
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