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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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Wesson in der rechten Hand. Ich hatte keine Ahnung, wohin Brants Waffe verschwunden war. Dann fiel mir das verräterische Poltern am Ende ihres Flugs durch die Luft wieder ein.
    »Stehenbleiben«, sagte sie. Sie hielt die Waffe nun mit beiden Händen und hatte die Arme auf Schulterhöhe steif ausgestreckt. Ich ließ mich nicht beeindrucken, sondern ignorierte ihr kleines Schauspiel. Sie konnte ja nicht wissen, daß ich von Angel Dust geheiligt und unverwundbar war. Ich war restlos high von dem Zeug, Phenzyklidin, Metamphetamin oder was es auch war — eine verblüffende Mischung aus Erregung und Unsterblichkeit. Die unangenehmen Nebenwirkungen hatten sich inzwischen gelegt, ich war losgelöst von jedem Gefühl und wiegte mich in der Sicherheit, daß ich dieses Mistweib ausschalten würde, genau wie alle anderen, die es auf mich abgesehen hatten.
    »Sie werden mir meinen Sohn nicht wegnehmen.«
    Wütend war ich außerdem noch auf sie. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen es aufgeben. Sie hätten die Finger davon lassen sollen. Jetzt haben Sie nicht nur Tom verloren, sondern auch noch Brant«, sagte ich im Plauderton. Ich ließ mich auf alle viere herab und tastete unter dem Stuhl herum. Wo zum Teufel war Brants Waffe?
    »Sie sind vollkommen auf dem Holzweg. Ich habe Brant keineswegs verloren«, erwiderte sie. »Und jetzt stehen Sie sofort auf. Tun Sie, was ich sage!«
    »Sie können mich mal kreuzweise, Selma. Sehen Sie Brants Waffe? Ich habe sie gegen die Wand poltern hören. Sie muß hier irgendwo sein.«
    »Ich warne Sie. Ich zähle bis drei, dann erschieße ich Sie.«
    »Tun Sie das«, erwiderte ich. Ich kroch ins Eßzimmer, überzeugt davon, daß sich der Revolver irgendwie unter dem Geschirrschrank verklemmt hatte, dem Prunkstück in Selmas kompletter Garnitur edler, strenger Möbel aus dunkel glänzendem Holz. Ich berührte mit einer Schulter den Boden und griff so weit unter den Geschirrschrank, wie mein Arm reichte. Genau in dieser unerquicklichen Stellung — mit ausgebreiteten Gliedmaßen auf dem Bauch liegend, während Brant stöhnend und mit Handschellen gefesselt im Flur lag und Selma sich in Positur stellte, um mir die Birne wegzupusten, falls sie es schaffte — , riskierte ich es, zu ihr aufzublicken, und sah in zeitlupenhaftem Erstaunen, wie sie das Gesicht verzog, die Augen schloß, den Kopf zur Seite drehte und abdrückte. Ein greller Blitz und ein lauter Knall waren die Folge. Die Kugel flog mit tödlicher Geschwindigkeit aus dem Lauf. Das normale Mündungsfeuer aus dem vorderen Ende des Revolvers und die vertikalen, fächerförmigen Blitze am Spalt neben der Trommel waren von einem blendenden Gelb und wirkten viel zu intensiv. Brant hatte offenbar die erste Patrone mit einem Zusatz brisanten Sprengstoffs präpariert. Jetzt glaubte ich zu wissen, wer Judy Gelsons Liebhaber gewesen war, als sie damals ihrem Mann ein Loch in die Brust geschossen hatte. Die Kammer und der obere Steg zerrissen. Die Druckwelle hebelte die Trommel aus und schob sie auf die linke Seite des Revolvers. Die Patronenhülse aus Messing wurde zerfetzt, und winzige Messingteilchen sprenkelten Selmas Hände, während sich Flocken unverbrannten Sprengstoffs auf ihr Gesicht setzten. Wie von Zauberhand zerplatzte zugleich sämtliches Glas in den Schranktüren — einschließlich der Kristallgläser und der Porzellanteller — wie ein Feuerwerk und bildete einen glitzernden Sternenregen aus fallendem Glas und Scherben.
    »Wahnsinn! Ganz toll! Probieren Sie das doch noch mal«, sagte ich.
    Selma weinte, als ich zum Telefon ging und die Nummer der Polizei wählte.

Epilog

    Hinterher erlaubte mir der Sheriff von Nota County, die Akte über die Morde an Ritter und Toth zu lesen. Rafer und ich setzten uns zusammen, und indem wir Toms Notizen mit anderen Daten zu diesem Fall verglichen, gelang es uns, den Verlauf von Toms Ermittlungen nachzuvollziehen. Die Ironie daran war allerdings, daß die Beweise, die er gesammelt hatte, nicht nur dürftig waren, sondern ausschließlich auf Indizien beruhten. Nichts davon reichte aus, um eine Verhaftung zu rechtfertigen, geschweige denn eine Verurteilung. Tom hatte erkannt, daß Brant einen Doppelmord begangen hatte, und er wußte, daß er das nicht auf Dauer für sich behalten konnte. Die Wahrheit zu enthüllen hätte die Zerstörung seiner Ehe bedeutet. Die Wahrheit zu verbergen hätte die Zerstörung alles anderen bedeutet, was ihm wichtig war. Tom war in aller Stille gestorben, und wenn
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