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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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einundzwanzigste und der achtundzwanzigste waren durchgestrichen. War es das Jahr 1908? 1912, 1901. 1911 oder 1926? Ich stand auf und ging ans Bücherregal, wo ich ein Exemplar von Toms Kalender herauszog. Ich blätterte den Index auf und suchte mir die Seitenzahl für den Dauerkalender heraus. In einer Tabelle zur Linken waren die Jahre zwischen 1800 und 2063 aufgelistet. Neben jedem Jahr stand eine Nummer, die einer numerierten Schablone entsprach und sämtliche Varianten wiedergab, wie die Monate angelegt sein konnten. Kalender Nummer eins bezeichnete ein Jahr, in dem der erste Januar auf einen Sonntag fiel; der erste Februar war ein Mittwoch; die folgenden Monate waren entsprechend dargestellt. Kalender Nummer zwei stand für sämtliche Jahre, in denen der erste Januar auf einen Montag fiel; der erste Februar war dann ein Donnerstag; und so weiter. Wenn man den Wochentag für ein bestimmtes Datum wissen wollte — sagen wir, den fünften März 1966 — , sah man einfach in der Haupttabelle unter 1966 nach. Dort erschien die Zahl sieben. Sah man im Kalender Nummer sieben nach, erfuhr man, daß der fünfte März auf einen Samstag gefallen war.
    Ich schaltete die Schreibtischlampe ein und musterte die Reihe von Kalenderseiten, indem ich mir die Februare ansah, die so angelegt waren wie der, den Tom gezeichnet hatte. Kalender Nummer fünf war ein solcher. Der erste Februar fiel auf einen Sonntag und der achtundzwanzigste auf den letzten Samstag des Monats. Kalender Nummer zwölf war so ähnlich, abgesehen davon, daß er neunundzwanzig Tage aufwies statt achtundzwanzig. Ich sah mir die Jahre an, die dazu paßten, indem ich bei 1900 anfing. 1903 war ein solches Jahr, aber nicht 1908 und 1912. 1914 war der erste auf einen Sonntag gefallen und der achtundzwanzigste auf den letzten Samstag, doch das traf nicht auf 1926 zu. 1925, 1931, 1942, 1953, 1959, 1970, 1981, 1998. Warum waren diese speziellen Februare relevant? Das Jahr konnte doch nicht von Belang sein, oder? Und warum hatte er die letzten beiden Samstage des Monats durchgestrichen? Ich dachte kurz darüber nach. Wenn diese beiden Samstage wegfielen, sank die Zahl der Tage von achtundzwanzig auf sechsundzwanzig — die Anzahl von Buchstaben im Alphabet. Ich versuchte es mit diesem Ansatz, indem ich die Buchstaben den Wochentagen gegenüberstellte. Das Ergebnis war immer noch HLAKZ.
    Während ich weiterhin auf Toms Drehstuhl schaukelte, fuhr ich mit ihm aufs Fenster zu. Es war kurz vor halb fünf und draußen schon völlig dunkel. Kalte Luft quoll durch den Spalt, wo ich das Fenster hochgeschoben hatte. Ich konnte beinahe die Hitzewellen sehen, die nach draußen strömten. Das Zimmer war empfindlich abgekühlt. Ich lehnte mich vor, schloß das Fenster und starrte mein Spiegelbild in der beschlagenen Scheibe an. Was zum Teufel bedeuteten diese Zahlen? Von irgendwoher spürte ich einen Luftzug. Zog es etwa durch den Kamin herunter? Neugierig geworden, stand ich auf und verließ das Arbeitszimmer. Ich ging den vorderen Flur entlang bis zum Wohnzimmer, wo ich die Tischlampen anschaltete. Die Vorhänge bebten wie von einer unsichtbaren Hand bewegt. Ich spähte den Kamin hinauf und machte den Rauchfang zu. Dann überprüfte ich die umliegenden Türen. Die Haustür war geschlossen und abgesperrt, genau wie die Hintertür und die Tür zur Garage. Das war es nicht. Ich steckte den Kopf in Selmas Schlafzimmer. Alles war unberührt, aber trotzdem herrschte solche Zugluft, daß sich die Vorhänge vor den Fenstern bauschten. Ich ging weiter den Flur hinab. Sämtliche Fenster in Brants altem Zimmer waren geschlossen.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Tür zu meinem Zimmer war nur angelehnt. Hatte ich sie so zurückgelassen? Argwöhnisch stieß ich sie auf. Die Vorhänge wehten und flatterten hin und her. Das Zimmer war ein einziges Chaos. Scharfkantige Glasscherben lagen auf dem Teppich. Das Fenster, das ich so überaus sorgfältig geschlossen hatte, war mit einem Hammer zerschmettert worden, den der Täter auf dem Fußboden hatte liegen lassen. Glassplitter in der Größe von Salzkristallen lagen wie weggeworfene Diamanten auf dem Fensterbrett verstreut. Das Fenster war hochgeschoben worden, vermutlich von außen. Es war eindeutig jemand eingedrungen. Ich ging zum Bett hinüber und schob meine Hand zwischen Sprungfedern und Matratze. Meine Pistole war weg.

22

    Ich sah auf die Uhr. 5.36 Uhr. Ich ging in die Küche zurück, um die Polizei zu informieren. Die Hand auf dem
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