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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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Hörer, zögerte ich. Wen sollte ich denn anrufen? Rafer? Brant? Toms Bruder Macon? Ich wußte nicht, ob ich einem von ihnen vertraute. Ich überlegte, auf wen ich mich in dieser Situation verlassen konnte. Ein Frösteln durchlief mich. Es war doch wohl niemand mit mir im Haus? Ich hatte das Gästezimmer seit meiner Rückkehr am frühen Nachmittag nicht mehr betreten, also war der Eindringling wahrscheinlich lange vor meinem Eintreffen hier gewesen und wieder verschwunden. Normalerweise wäre ich in mein Zimmer gegangen, um die Jacke abzulegen. Nach einem Tag, wie ich ihn erlebt hatte, hätte ich sonst vielleicht geduscht oder ein Nickerchen gemacht — irgend etwas, um mich aufzumuntern — , aber ich hatte unbedingt Toms Notizen lesen wollen und war direkt in sein Arbeitszimmer gegangen. Ich fühlte mich, als wäre mein Geist durch das quälende Angstgefühl von meinen Muskeln getrennt worden.
    Das Telefon gellte mit außergewöhnlicher Lautstärke und löste eine Welle von Übelkeit in mir aus. Ich zuckte zusammen. Meine Nerven lagen blank, während meine Reflexe heftig, ja beinahe schmerzhaft einsetzten. Ich riß den Hörer herunter, bevor es zu klingeln aufgehört hatte. »Hallo?«
    »Hey, Kinsey. Brant hier. Ist meine Mom schon da?« Er klang jung und unbeschwert, entspannt und gelassen.
    Mein Magen bäumte sich auf. »Sie müssen nach Hause kommen«, sagte ich. Meine Stimme hörte sich seltsam entfernt an.
    Offenbar machte ihn mein Tonfall hellhörig, da sich der seine wandelte. »Warum? Was ist denn los?«
    »Es ist eingebrochen worden. Auf dem Fußboden im Gästezimmer liegen Glasscherben, und meine Pistole ist weg.«
    »Wo ist Mom?«
    »Ich weiß es nicht. Doch. Warten Sie. Bei Ihrer Cousine in Big Pine. Ich bin ganz allein hier.«
    »Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich komme sofort.«
    Er unterbrach die Verbindung.
    Ich legte den Hörer auf, drehte mich um und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand, wobei ich leise vor mich hin wimmerte. Eine Stadt voller Cowboys, und jemand wollte mir ans Leder. Ich streckte die Hände vor mir aus und sah, wie meine Finger zitterten und die kürzlich ausgerenkten Glieder geschwollen und nutzlos wirkten. Meine Pistole war gestohlen worden. Ich brauchte aber eine Waffe, irgend etwas, womit ich mich gegen den bevorstehenden Angriff wehren konnte. Auf der Suche nach einem Messer fing ich an, Küchenschubladen aufzuziehen, eine nach der anderen. Eine Lade rutschte aus ihren Schienen und knallte mir gegen den Schenkel, während sie sich entleerte. Gegenstände verhakten sich ineinander und fielen auf den Boden zu meinen Füßen. Hinter meinen Lidern spürte ich Tränen brennen. Ich sammelte eine Handvoll Gerätschaften auf und warf sie in die Schublade, aber irgendwie schaffte ich es nicht, die Lade wieder in ihre Schiene zu schieben. Ich knallte sie so fest auf die Arbeitsplatte, daß ein Metallspatel sich aufbäumte und herausfiel. Ich ließ die Schublade stehen, wo sie war. Schließlich fand ich ein Steakmesser von irgendeiner Billigmarke, das aussah wie eine Gratis-Beigabe in einer Waschmittelpackung. Das Deckenlicht spiegelte sich auf seiner Oberfläche. Ich konnte die Zahnung an der Schneide erkennen. Was würde mir ein gezahntes Steakmesser gegen eine abgefeuerte Kugel helfen?
    Stunden schienen zu vergehen.
    Ich konnte den großen Zeiger an der Küchenuhr bei jeder Sekunde ticken hören.
    Draußen vernahm ich quietschende Bremsen, dann eine Autotür, die zugeschlagen wurde. Ich drehte mich um und starrte zur Tür. Was, wenn es jemand anders war? Was, wenn sie es waren? Die Tür flog auf, und vor mir stand Brant in Zivilkleidung. Er kam mit der beruhigenden Masse eines Schlachtschiffs auf mich zu. Ich streckte eine Hand aus, und er ergriff sie.
    »Mein Gott, Sie sehen ja schrecklich aus! Wie ist der Typ denn hereingekommen?«
    Ich wies auf mein Zimmer und folgte ihm unbewußt, als er zielstrebig den Flur in dieser Richtung entlangging. Er sah sich nur kurz und oberflächlich um, dann verließ er das Gästezimmer wieder und ging der Reihe nach den Rest des Hauses ab, wobei er in jeden Wandschrank, jede Ecke und jeden Winkel blickte. Dann stieg er in den Keller hinab. Ich wartete oben an der Treppe und knetete meine verletzte Hand. Meine Finger bargen eine seltsame Faszination für mich — so ungeschickt und geschwollen. Wo war meine Pistole? Wie konnte ich mich verteidigen, wenn ich das Messer auf der Arbeitsplatte hatte liegen lassen?
    Brant ging zurück in die Küche. Ich
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