Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
folgte ihm wie ein Entenjunges. An seinem Tonfall hörte ich, daß er um Beherrschung rang. Etwas an seiner Art ließ den Ernst der Lage spüren. »Hat er das Notizbuch mitgenommen?«
    Ich merkte, wie ich mit den Zähnen knirschte. »Wer?«
    »Der Typ, der eingebrochen ist«, sagte er scharf.
    »Ich hatte es in der Tasche«, erwiderte ich. »War es das, wohinter er her war?«
    »Natürlich«, erklärte Brant. »Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb er sonst das Risiko hätte eingehen sollen. Berichten Sie mir genau, was Sie heute gemacht haben. Zu welcher Zeit haben Sie das Haus verlassen, und wie lange waren Sie weg?«
    Auf eine Art, die mir weitschweifig und unverständlich vorkam, sprudelte ich die Geschichte meiner Zurückweisung hervor, die Weigerung der Tankwarte, mir Benzin zu verkaufen, und meinen anschließenden Aufenthalt im Rainbow, um mich mit Nancy zu unterhalten. Ich erzählte ihm, daß mir Rafer und Vick begegnet seien und ich mit Cecilia und Barrett gesprochen habe. Mein Gehirn arbeitete doppelt so schnell wie meine Lippen, so daß ich mir träge und dumm vorkam. Brant, der Himmel segne ihn, schien dem Stakkato meiner Ausführungen folgen zu können und füllte die Lücken, wenn mir gelegentlich ein Wort nicht einfiel. Was war los mit mir? Ich wußte, daß ich mich schon einmal so gefühlt hatte — so verängstigt — so machtlos — so daneben...
    Brant starrte mich an. »Sie haben tatsächlich mit ihm gesprochen?«
    Von wem redete er eigentlich? »Mit wem?« Meine Stimme klang dumpf.
    »Rafer.«
    Was hatte ich gefragt? Was hatte er zuvor gesagt? Was hatte Rafer womit zu tun? »Was?«
    »Rafer. Im Rainbow.«
    »Ja. Ich bin ihm im Rainbow begegnet.«
    »Das weiß ich. Sie haben es mir ja gerade erzählt. Ich habe gefragt, ob Sie mit ihm gesprochen haben«, sagte er mit übertriebener Geduld.
    »Klar.«
    »Sie haben mit ihm gesprochen ?!« Seine Stimme war vor Beunruhigung lauter geworden. Ich sah das Frage- und das Ausrufezeichen wirbelnd durch die Luft auf mich zufliegen. »Ich habe ihn auf den neuesten Stand gebracht«, sagte ich. Meine Stimme kam mit Verzögerung wie in einem hallenden Raum. Wörter in Ballons prallten über meinem Kopf aneinander, und Bilder flogen wie Geschosse in alle Himmelsrichtungen davon.
    »Ich habe doch gesagt, Sie sollen warten, bis ich der Sache auf den Grund gehen kann. Was glauben Sie denn, wer all die Gerüchte in die Welt gesetzt hat?«
    »Wer?«
    Brant packte mich an den Schultern und schüttelte mich leicht. Er wirkte zornig, und seine Finger gruben sich in meine Schultern. »Kinsey, wachen Sie auf und hören Sie zu. Das ist eine ernste Angelegenheit«, sagte er.
    »Sie wollen doch nicht behaupten, daß er es war?«
    »Aber natürlich war er es. Wer hätte es denn sonst gewesen sein können? Denken Sie mal nach, Sie Dummerchen.«
    »Worüber soll ich nachdenken?« fragte ich verwirrt. Seine plötzliche Bestürzung war ansteckend. Ich verließ mich auf seine Hilfe, doch seine Unruhe trieb die meine in gefährliche Höhen.
    Seine Stimme dröhnte weiter, beschwörend und schmeichelnd, einlullend. »Sie haben Mom erzählt, es sei jemand von den Polizeibehörden. Glauben Sie im Ernst, daß mein Vater auch nur eine einzige schlaflose Nacht verbracht hätte, wenn es jemand anders als Rafer gewesen wäre? Rafer war sein bester Freund. Die beiden hatten schon jahrelang zusammengearbeitet. Dad hielt Rafer für einen der anständigsten Polizisten auf Gottes Erdboden. Und dann findet er heraus, daß er zwei Männer umgebracht hat. Mann o Mann! Er muß in die Hosen gemacht haben, als ihm klarwurde, was los war. Hat er das denn nicht aufgeschrieben? Steht das nicht in seinen Notizen?«
    Seine Worte waren wie Wimpel, die über seinem Kopf wehten.
    Ich vernahm ein Knattern wie von Fahnen. »Die Notizen sind verschlüsselt. Ich kann sie nicht lesen.«
    »Wo sind sie? Können Sie sie mir zeigen? Vielleicht kann ich den Code knacken.«
    »Dort drinnen. Sie glauben also, daß er kurz davor stand, mit der internen Untersuchungskommission zu sprechen.«
    »Natürlich! Die Entscheidung ist ihm sicher nicht leichtgefallen, aber obwohl er Rafer gegenüber loyal war, kam sein Dienstherr zuerst. Er muß um einen Ausweg gebetet und gehofft haben, daß er sich irrte.«
    Mein Verstand arbeitete blitzschnell, nur mein Mund tat sich schwer, und die Gedanken donnerten mir wie Felsbrocken gegen die Zähne. Ich mußte den Kiefer zusammenkneifen und mit möglichst wenig Lippenbewegung sprechen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher