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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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Nachttisch herumtastete, bis sie Päckchen und Feuerzeug gefunden hatte. Ihre Hand zitterte leicht, als sie sich die Zigarette anzündete. »Kommen Sie doch hier rüber«, sagte sie und zeigte auf einen Stuhl. »Nehmen Sie die Sachen runter und setzen Sie sich hierhin, damit ich Sie besser sehen kann.«
    Ich nahm ihren gesteppten Morgenmantel vom Stuhl und legte ihn aufs Bett. Dann zog ich den Stuhl näher heran und setzte mich.
    Sie starrte mich mit ihren geschwollenen Augen an, während ihr beim Sprechen ein dünner Rauchfaden aus dem Mund quoll. »Tut mir leid, daß Sie mich so sehen müssen. Normalerweise bin ich um diese Zeit schon auf, aber heute war ein harter Tag.«
    »Aha«, sagte ich. Der Rauch senkte sich langsam auf mich herab wie die feinen Tröpfchen, wenn einen jemand angeniest hat.
    »Hat Phyllis Ihnen Kaffee angeboten?«
    »Bitte machen Sie sich keine Umstände. Sie ist wieder zu sich nach Hause gegangen, und ich brauche nichts, danke. Ich möchte nicht mehr Zeit in Anspruch nehmen als nötig.«
    Sie sah mich ausdruckslos an. »Ist doch egal«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob Sie je einen Menschen verloren haben, der Ihnen nahestand, aber es gibt Tage, da fühlt man sich, als bekäme man die Grippe. Der ganze Körper tut einem weh, und der Kopf ist so verstopft, daß man nicht mehr richtig denken kann. Ich bin froh, daß ich Gesellschaft habe. Man lernt jede Ablenkung zu schätzen. Seinen Gefühlen kann man nicht aus dem Weg gehen, aber eine kurzfristige Erleichterung nützt auch schon etwas.« Sie neigte dazu, sich beim Sprechen die Hand vor den Mund zu halten. Offenbar war ihr die Verfärbung an ihren beiden Schneidezähnen peinlich, die, wie ich nun sah, auffallend grau waren. Vielleicht war sie als Kind gestürzt oder hatte Medikamente einnehmen müssen, die den Zahnschmelz dunkel färbten. »Woher kennen Sie Robert Dietz?« fragte sie.
    »Ich habe ihn selbst vor ein paar Jahren engagiert, damit er mich beschützt. Jemand hat mein Leben bedroht, und Dietz hat dann als mein Leibwächter gearbeitet.«
    »Was macht sein Knie? Es hat mir leid getan, zu hören, daß er das Bett hüten muß.«
    »Das wird bald verheilt sein. Er ist ja zäh. Außerdem ist er schon wieder auf den Beinen.«
    »Hat er Ihnen von Tom erzählt?«
    »Nur, daß Sie erst seit kurzem verwitwet sind. Weiter weiß ich nichts.«
    »Dann kläre ich Sie mal auf, obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Womöglich halten Sie mich ja für verrückt, aber ich kann Ihnen versichern, daß ich das nicht bin.« Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette und seufzte eine Handvoll Rauch aus. Ich erwartete Tränen, während sie erzählte, doch die Geschichte rollte in valiumbedingter Gelassenheit ab. »Tom hatte einen Herzinfarkt. Er war auf der Straße unterwegs... etwa zehn Kilometer von hier entfernt. Es war zehn Uhr abends. Er muß es früh genug gemerkt haben, um am Straßenrand anzuhalten. Ein Officer der Highway Patrol namens James Tennyson — ein Freund von uns — erkannte Toms Geländewagen, sah, daß er die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte, und hielt an, um nachzusehen, ob er Hilfe brauchte. Tom war über dem Lenkrad zusammengesunken. Ich war auf einer kirchlichen Versammlung, und als ich nach Hause kam, standen zwei Streifenwagen in der Einfahrt. Sie wissen doch, daß Tom als Detective im Sheriffbüro gearbeitet hat?«
    »Das wußte ich nicht.«
    »Ich hatte ständig Angst, daß er eines Tages bei seiner Arbeit ums Leben kommen würde. Nie hätte ich gedacht, daß er auf diese Weise stirbt.« Sie hielt inne, zog an ihrer Zigarette und benutzte den Rauch als eine Art Interpunktion.
    »Das muß schwer gewesen sein.«
    »Es war entsetzlich«, sagte sie. Erneut führte sie die Hand vor ihren Mund, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Ich kann immer noch nicht daran denken. Ich meine, soweit ich weiß, hatte er nie irgendwelche Symptome. Oder sagen wir mal so: Falls er welche hatte, hat er mir nichts davon erzählt. Er litt an hohem Blutdruck, und der Arzt hat ihn bedrängt, das Rauchen aufzugeben und Sport zu treiben. Sie wissen ja, wie Männer sind. Er hat alles abgetan und einfach so weitergemacht, wie es ihm paßte.« Sie legte die Zigarette beiseite, damit sie sich die Nase putzen konnte. Warum spähen die Leute eigentlich immer in ihre Taschentücher, um nachzusehen, was ihnen ihr lärmendes Schneuzen eingebracht hat?
    »Wie alt war er?«
    »Kurz vor dem Ruhestand. Dreiundsechzig«, antwortete sie.
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