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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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kompakter Statur. Sie hatte braune Augen und kurzes, dunkles, zerzaustes Haar und trug eine rot-blau-gelb karierte Bluse über einem gelben Faltenrock.
    »Hallo, ich bin Kinsey Millhone. Sind Sie Selma?«
    »Nein, ich bin ihre Schwägerin Phyllis. Mein Mann Macon ist Toms jüngerer Bruder. Wir wohnen zwei Häuser weiter. Womit kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich bin mit Selma verabredet. Vermutlich hätte ich vorher anrufen sollen. Ist sie da?«
    »Oh, entschuldigen Sie. Jetzt fällt es mir wieder ein. Sie hat sich gerade ein bißchen hingelegt, aber sie hat mir gesagt, daß Sie vorbeikommen würden. Sie sind sicher die Bekannte dieses Detektivs aus Carson City, mit dem sie telefoniert hat.«
    »Genau«, bestätigte ich. »Wie geht es ihr denn?«
    »Selma hat ihre schlechten Tage, und ich fürchte, heute ist einer davon. Tom ist heute vor sechs Wochen gestorben, und sie hat mich in Tränen aufgelöst angerufen. Ich bin, so schnell ich konnte, rübergekommen. Sie zitterte und war ganz verstört. Die Ärmste sieht aus, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen. Ich habe ihr ein Valium gegeben.«
    »Ich kann auch später wiederkommen, wenn Sie das für besser halten.«
    »Nein, nein. Sie ist bestimmt wach, und ich weiß, daß sie mit Ihnen sprechen will. Kommen Sie doch herein.«
    »Danke.«
    Ich folgte Phyllis durch die Diele und einen mit Teppich ausgelegten Flur entlang bis zu Selmas Schlafzimmer. Im Vorübergehen warf ich einen kurzen Blick durch die Türen rechts und links des Flurs. Ich gewann den Eindruck, daß alle Räume hoffnungslos überladen waren. Die Vorhänge und Bezugsstoffe im Wohnzimmer waren auf eine rosa-grüne Tapete abgestimmt, die mit Blumensträußen und pinkfarbenen Schleifen bedruckt war. Auf dem Couchtisch stand ein üppiges Bouquet pinkfarbener Seidenblumen. Der Velours-Teppichboden war blaßgrün und verströmte jenen intensiv chemischen Geruch, der darauf schließen ließ, daß er erst kürzlich verlegt worden war. Das Mobiliar im Eßzimmer war streng und unpersönlich: überall dunkles, glänzendes Holz, wobei der Raum im Verhältnis zu seiner Größe überladen war mit Möbelstücken. An den Fensterscheiben hatte sich ein weißer Kondensationsfilm angesammelt. Die Dämpfe von Zigarettenrauch und Kaffee vermischten sich zu einem penetranten Geruch.
    Phyllis klopfte an die Tür. »Selma? Ich bin’s, Phyllis.«
    Ich vernahm eine gemurmelte Antwort. Phyllis öffnete einen Spaltweit die Tür und spähte um den Türrahmen herum. »Du hast Besuch. Es ist eine Dame — diese Detektivin aus Carson City.«
    Ich wollte sie schon korrigieren, überlegte es mir dann aber anders. Ich war nicht aus Carson City, und ich war mit Sicherheit keine Dame, aber was spielte das schon für eine Rolle? Durch den Türspalt konnte ich einen Blick auf die Frau im Bett werfen: ein Gewirr platinblonden Haares, eingerahmt von den Pfosten eines Himmelbetts.
    Offenbar war ich hereingebeten worden, denn Phyllis trat einen Schritt zurück und sagte, als ich vorüberging, halblaut zu mir: »Ich muß jetzt nach Hause, aber Sie können jederzeit vorbeikommen, falls Sie etwas brauchen.«
    Ich nickte ihr dankend zu, betrat das Schlafzimmer und schloß die Tür hinter mir. Die Vorhänge waren zugezogen und das Licht gedämpft. Zierkissen lagen rings um das Bett auf dem Teppich. Es gab Unmengen von Rüschen, und knallbunte Stoff- und Tapetenmuster bedeckten Wände, Fenster und die bauschige Bettwäsche. Das Motiv schien auf Berührung explodierende Rosen darzustellen.
    »Es tut mir leid, wenn ich Sie störe«, begann ich, »aber Phyllis meinte, es würde Ihnen nichts ausmachen. Ich bin Kinsey Millhone.«
    Selma Newquist setzte sich in ihrem ausgebleichten Flanellnachthemd auf und strich die Bettdecke glatt, wobei sie mich an eine Kranke erinnerte, die ihr Essenstablett erwartet. Nach einem Blick auf ihre Handrücken, die mit Leberflecken übersät und von Venen durchzogen waren, schätzte ich sie auf Ende Fünfzig. Ihr Teint ließ auf einen dunklen Typ schließen, doch ihr Haar war ein Wust weißblonder Locken und wirkte wie Zuckerwatte. Momentan hing der ganze Turm zur Seite und schien von Haarspray verklebt zu sein. Sie hatte sich die Augenbrauen mit einem rotbraunen Stift nachgezogen, aber Eyeliner oder Lidschatten waren schon lange abgegangen. Durch die Streifen in ihrem dicken Make-up konnte ich die fleckige Gesichtshaut sehen, die auf zuviel Sonneneinwirkung hinwies. Sie griff nach ihren Zigaretten, indem sie auf dem
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