Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
Privatangelegenheiten zur Sprache gebracht, doch ich hatte mir geschworen, bei ihm das gleiche zu tun, falls sich die Gelegenheit ergab. Unter Detektiven gilt das als berufsspezifische Höflichkeitsgeste: Du durchwühlst meine Wohnung und ich deine.
    Am Freitagmorgen der gleichen Woche wurde er aus der Klinik entlassen. Den anschließenden Heilungsprozeß verbrachte er mit viel Herumsitzen, während sein Knie so dick verbunden war, daß es wie eine Nackenrolle aussah. Wir sahen uns Schund im Fernsehen an, spielten Gin-Rommé und setzten ein Puzzle zusammen, das ein derart lebensechtes Bild eines wuselnden Regenwurmnests ergab, daß es mir fast den Appetit raubte. In den ersten drei Tagen übernahm ich das Kochen, was heißt, daß ich Sandwiches zubereitete und zwischen meiner berühmten Erdnußbutter-Essiggurken-Kreation und meiner geliebten Kombination aus heißem, hartgekochtem Ei in Scheiben mit tonnenweise Hellmann’s Mayonnaise und Salz abwechselte. Danach wollte Dietz offenbar unbedingt selbst wieder die Küche übernehmen, und unser Speiseplan wurde reichhaltiger und umfaßte Pizza, Gerichte vom Chinesen und Campbell’s-Suppen — Tomate oder Spargelcreme, je nach Laune.
    Nach Ablauf von zwei Wochen kam Dietz ganz gut wieder allein zurecht. Die Fäden waren gezogen, und er hinkte zwischen seinen krankengymnastischen Terminen mit einer Krücke herum. Er hatte noch einen langen Heilungsprozeß vor sich, aber er konnte allein zu seinen Behandlungen fahren und schien auch sonst imstande zu sein, für sich zu sorgen. Mittlerweile hielt ich es nicht mehr für ausgeschlossen, daß ich durchdrehen würde, wenn ich noch länger hinter ihm herlief. Es war Zeit, mich auf den Weg zu machen, bevor unsere Zweisamkeit lästig zu werden begann. Ich war gern mit ihm zusammen, doch ich kannte meine Grenzen. Ich hielt meine Abschiedsworte oberflächlich; jede Menge lässiges »Okay«, »Prima«, »Vielen Dank« und »Bis bald«. Das war meine Art, den schmerzhaften Kloß in meinem Hals zu verdrängen und peinliches Geheule zu verhindern, das meiner Meinung nach lieber unterbleiben sollte. Verlangen Sie bloß nicht von mir, den Jammer, den ich empfand, mit dem fast schwindelerregenden Gefühl von Erleichterung in Einklang zu bringen. Niemand hat je behauptet, daß Gefühle schlüssig sein müßten.
    Und hier war ich nun und raste auf der Suche nach Arbeit die Landstraße entlang, alles andere als wählerisch, was meinen nächsten Auftrag anging. Ich wollte Ablenkung. Ich wollte Geld, Zerstreuung, alles, um meine Gedanken vom Thema Robert Dietz fernzuhalten. Ich habe kein Talent fürs Abschiednehmen. Ich habe schon zu viele Trennungen erlebt und kann das Gefühl nicht ausstehen. Andererseits habe ich aber auch kein Talent für Beziehungen. Man kommt jemandem nahe, und im Handumdrehen hat man ihm schon die Macht gegeben, einen zu verletzen, zu betrügen, zu ärgern, zu verlassen oder zu Tode zu langweilen. Meine gewohnte Strategie ist es, auf Distanz zu bleiben und damit einer Menge unkontrollierbarer Gefühle aus dem Weg zu gehen. In psychiatrischen Kreisen gibt es Bezeichnungen für Menschen wie mich.
    Ich schaltete das Autoradio ein und erwischte einen knisternden Sender aus Los Angeles, 450 Kilometer weiter südlich. Nach und nach begann ich mich an die Landschaft um mich herum zu gewöhnen. Der Highway 395 verläßt Carson City in südlicher Richtung, durch Minden und Gardnerville. Nördlich von Topaz hatte ich die Staatsgrenze überquert und befand mich nun in Ostkalifornien. Das Rückgrat des Bundesstaates bildet die steil aufragende Sierra Nevada Range, die hochgekippte Kante eines riesigen Verwerfungsblocks, der später von mehreren Gletschern abgeschliffen wurde. Zu meiner Linken lag der Mono Lake, der pro Jahr um einen halben Meter Umfang schrumpft, immer salzhaltiger wird und wenig Leben im und am Wasser zuläßt, außer Salzwasserkrabben und Vögel, die sich von ihnen ernähren. Irgendwo zu meiner Rechten, hinter einem dunkelgrünen Wald aus Jeffreykiefern, lag der Yosemite-Nationalpark mit seinen hohen Gipfeln, zerklüfteten Canons, Seen und tosenden Wasserfällen. Wiesen, die jetzt von einer dünnen Schneeschicht überzuckert waren, bildeten einst den Grund eines pleistozänischen Sees. Später im Frühling würden diese Wiesen von Wildblumen übersät sein. In den höheren Lagen war die winterliche Schneedecke noch nicht geschmolzen, doch die Pässe waren offen. Es war die Art von Landschaft, die von Leuten, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher