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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge
Autoren: Sue Grafton
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sich leicht beeindrucken lassen, »atemberaubend« genannt wird. Ich bin kein großer Natur-Fan, doch selbst ich war fasziniert genug, um »wow« zu murmeln, während ich mit 110 Stundenkilometern an einem Aussichtspunkt vorbeiraste.
    Bei der potentiellen Klientin, zu der ich unterwegs war, handelte es sich um eine Frau namens Selma Newquist, deren Mann irgendwann in den letzten Wochen gestorben war. Dietz hatte früher einmal für sie gearbeitet, indem er ihr half, sich aus einer unerquicklichen ersten Ehe zu lösen. Ich hatte nicht alle Einzelheiten erfahren, aber er hatte durchblicken lassen, daß das, was er über die Finanzgeschäfte ihres Ehemannes ausgegraben hatte, ihr genug Macht gab, um sich aus der Beziehung zu befreien. Dann kam die zweite Ehe, und offensichtlich hatte der Tod ihres zweiten Ehemannes Fragen aufgeworfen, die seine Witwe beantwortet haben wollte. Sie hatte angerufen und Dietz engagieren wollen, doch weil er momentan außer Gefecht gesetzt war, hatte er mich empfohlen. Ich bezweifelte, daß Mrs. Newquist unter normalen Umständen eine Detektivin von der anderen Seite des Bundesstaates in Betracht gezogen hätte, aber meine Heimreise stand ohnehin an, und ich war in ihre Richtung unterwegs. Wie sich heraussteilen sollte, war meine Verbindung zu Santa Teresa zweckdienlicher, als es zunächst den Anschein hatte. Dietz hatte sich für meine Zuverlässigkeit verbürgt und mir im Gegenzug versichert, daß Mrs. Newquist geleistete Arbeit gewissenhaft bezahlte. Es sprach nichts dagegen, lange genug haltzumachen, um mir anzuhören, was die Frau zu sagen hatte. Wenn sie mich dann nicht engagieren wollte, hätte ich lediglich eine halbstündige Unterbrechung meiner Fahrt investiert.
    Ich erreichte Nota Lake (2356 Einwohner, 1314 m ü. d. M.) nach gut drei Stunden. Der Ort sah nach nicht viel aus, obwohl die Umgebung spektakulär war. Auf drei Seiten ragten Berge empor, und da noch Schnee lag, zeichneten sich die Gipfel in bauschigem Weiß vor den zahlreichen Haufenwolken am Himmel ab. Auf der schattigen Straßenseite sah ich übriggebliebene Schneeflächen und Eisklumpen, die sich vor den blattlosen Bäumen zusammengedrängt hatten. Die Luft duftete nach Kiefern, mit einem leicht süßlichen Nebengeruch. Der eisige Dampf, den ich einatmete, kam mir vor, als steckte ich den Kopf in eine halbleere Vierliterpackung Vanilleeis und saugte den zuckrigen Duft ein. Der See selbst war nicht mehr als drei Kilometer lang und anderthalb breit. Seine Oberfläche war glasig, und in ihr spiegelten sich die Granitzacken der Berge und die Umrisse von Weißtannen und Flußzedern, die auf den Hängen wuchsen. Ich hielt an einer Tankstelle und besorgte mir einen Plan der Stadt, die sich wie ein Fleck am östlichen Ende des Nota Lake ausnahm.
    Die wichtigsten Geschäfte schienen sich in fünf Häuserblocks an der Hauptstraße aneinanderzureihen. Ich fuhr einmal alles ab und zählte zehn Tankstellen und zweiundzwanzig Motels. In Nota Lake gab es preiswerte Unterkünfte für die Skifahrer von den Mammoth Lakes. Der Ort hatte außerdem eine große Zahl von Fastfood-Restaurants zu bieten, darunter Burger King, Carl’s Jr., Jack in the Box, Kentucky Fried Chicken, Pizza Hut, ein Waffle House, ein International House of Pancakes, ein House of Donuts, ein Sizzler, ein Subway, ein Taco Bell und meinen persönlichen Lieblingsladen McDonald’s. Die weiteren Lokale mit Sitzplätzen unterteilten sich gleichmäßig in mexikanisch, Bar-B-Que und »Familienrestaurants«, was auf Massen plärrender Kleinkinder und ein Verbot harter Drinks schließen ließ.
    Die Adresse, die ich bekommen hatte, lag am Ortsrand, zwei Blocks von der Hauptdurchgangsstraße entfernt in einer Siedlung, die aussah, als sei jedes Haus vom gleichen Bauunternehmer errichtet worden. Die Straßen des Viertels waren nach verschiedenen Indianerstämmen benannt — Shawnee, Iroquois, Cherokee, Modoc, Crow, Chippewa. Selma Newquist wohnte in einer Sackgasse namens Pawnee Way, und ihr Haus war das exakte Ebenbild des Nachbarhauses: Fachwerkverkleidung, ein Schindeldach, eine Veranda mit Fliegengittern am einen Ende und eine Doppelgarage am anderen. Ich parkte in der Einfahrt neben einem dunklen Ford. Aus Gewohnheit schloß ich meinen Wagen ab, stieg die zwei Stufen zur Veranda hinauf und klingelte — bim bam — wie eine Avon-Beraterin. Ich wartete eine Weile und versuchte es dann noch einmal.
    Die Frau, die mir die Tür öffnete, war Ende Vierzig und von kleiner,
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