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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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dann noch die Notwendigkeit, alle arbeitsfähigen jungen Männer von ihren Feldern und Familien weg und in den sicheren Tod zu schicken? Ein Krieg mit leistungsfähigeren Schusswaffen würde schneller und mit weniger Verlusten entschieden. ›Leben retten durch leistungsfähigere Tötungsmaschinen‹ – so lautete also Gatlings Devise, und über 80 Jahre später würde mit Robert Oppenheimer ein Bruder im Geiste die Entwicklung einer nicht minder furchterregenden Waffe vorantreiben.
    Gatling war nicht der Erste, der an automatisierten Ladesystemen für Schusswaffen tüftelte. Selbst das System rotierender Laufbündel – sie verhinderten die schnelle Überhitzung eines einzelnen Laufs bei Dauerfeuer – war nicht ganz neu. Was Gatlings Waffe zum Meilenstein der Waffenentwicklung und Jahrzehnte später zur Ikone der Waffengeschichte machte, waren ihre kompakte Bauweise, ihre einfache Bedienung, ihre Präzision und ihre Verlässlichkeit im Fronteinsatz. Schon seine ersten Prototypen erfüllten diese Bedingungen, Gatling hatte also allen Grund, optimistisch und guter Dinge zu sein, was die Vermarktung seines neuen Produktes anging.
    So trafen ihn, den erfolgsverwöhnten Unternehmer, die Widerstände gegen seine Wunderwaffe völlig unvorbereitet. Entgegen allen Erwartungen reagierten die politischen und militärischen Entscheidungsebenen der Nordstaaten reserviert auf seine Vorführungen. Er stand vor einer paradoxen Situation, mit einem konkurrenzlosen Produkt im Angebot, einem riesigen potenziellen Markt, aber fehlender Nachfrage. Die Zeit schien nicht reif zu sein für seine Erfindung, ganz so, als hätte ein Lebewesen durch Zufall mehrere Evolutionsstufen übersprungen, für die seine Spezies normalerweise einige 100.000 Jahre brauchte.
    Gatlings PR-Genie scheiterte an einer schier unüberwindbaren Hürde – dem soldatischen Ethos. Das Niedermähen der gegnerischen Reihen mit einem Gerät, das einer Kaffeemühle mehr ähnelte als einer Schusswaffe und die Kriegsführung also von einem ehrenhaften Duell zu einem maschinellen Verarbeitungsprozess herabwürdigte, schien weder Militärs noch Politikern akzeptabel.
    Vielleicht hatte Gatling dem Produktdesign zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1893 zeigt den Erfinder in Frack, Bowler und glänzenden Schuhen an der Kurbel einer Bullog-Version seiner Wunderwaffe, einem polierten Messingzylinder mit zehn Zentimetern Durchmesser und 40 Zentimetern Länge, montiert auf einem filigranen Dreifuß, obenauf die blecherne Magazintrommel wie die Kassette einer Filmkamera. Jeder Betrachter musste bei diesem Anblick zuerst an einen Metzger am Fleischwolf oder einen Drehorgelspieler auf dem Jahrmarkt denken, nicht aber an einen heroischen Kämpfer auf dem Feld der Ehre.
    Die Gatling Gun war also ein Spätzünder, was ihre Marktdurchdringung anging; gleichwohl stellte sie eine Zäsur in der Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen dar – vom ehrbaren Kampf Mann gegen Mann zur industriell organsierten Massentötung. Es bedurfte einfach einer Anpassungsphase, bis die Akteure bewaffneter Konflikte sich so weit von ihrem soldatischen Ehrenkodex gelöst hatten, dass sie Gatlings Erfindung ohne Skrupel einsetzen konnten.
    Die Gatling Gun entwickelte sich zu dem, was man im Computerzeitalter eine Killer-Applikation nannte, und in der Mischung aus Faszination, Ehrfurcht und Angst, die ihr Anblick in späteren, größeren Versionen bei den Menschen erzeugte, glich sie einer Atombombe des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Sie war erst nach dem Ende des Bürgerkrieges zur Ikone geworden, zur stählernen Metapher für Donner und Blut und Tod.
    Und wenn es lange nach dem Ende des Bürgerkrieges noch eines Testimonials bedurft hätte, eines prominenten Fürsprechers, um den stählernen Feuerspucker in der ganzen Welt bekannt zu machen, hatte Richard Jordan Gatling ihn gefunden – mit William F. Cody alias Buffalo Bill.

     

     

2

    Rünz’ Hände schwebten einige Sekunden regungslos über der Tastatur, dann ließ er sie hinuntersausen wie ein Pianist beim Fortissimo und legte los:

     

     
    AMOK
    von Raoul Rockwell

     
    Prolog

     
    Der Killer senkte den chromglänzenden Stahl des Skalpells mit kalter Präzision in die alabasterfarbene, zarte Bauchhaut der Jungfrau – knapp über der Grenze des zarten blonden Flaums, der ihren Venushügel bedeckte. Sein Opfer wimmerte und zerrte in Todesangst an den Lederfesseln, die sich tief in die grazilen Hand- und
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