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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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Fußgelenke eingruben. Doch er hatte keinen Trost zu spenden. Sein höhnisches Lachen füllte das Verlies tief unter dem Hochzeitsturm, brach sich an den Wänden, vereinte sich mit dem vielfachen Echo zu einem Chor des Schreckens. Er öffnete seine Hose …

     
    Rünz grunzte zufrieden. Fantastisch. Sex, Crime, Blut, Schmerz und Unschuld – alles drin, auf den ersten zehn Zeilen. Ein fulminanter Einstieg. Er ließ sich in die Lehne zurückfallen, köpfte ein Pfungstädter Märzen und trank die halbe Flasche in einem Zug. Das hatte er sich verdient. Und der Cliffhanger mit der offenen Hose am Ende der Szene! Wer konnte da schon mittendrin aufhören? Ein echter Pageturner. Es lohnte immer, an die niedrigsten Instinkte zu appellieren.
    ›Raoul Rockwell‹ – der Kommissar freute sich immer noch wie ein Kind über sein Autoren-Pseudonym, er hatte es bereits so verinnerlicht, dass er sich manchmal im Präsidium am Telefon mit ›Rockwell‹ meldete. Tatkräftig rieb er sich die Hände und beugte sich wieder über die Tastatur. Nach der Einführung des Bösewichts brauchte er einen harten Schnitt auf seinen Helden.

     
    Vince Stark, Special Agent der Counter Terrorism Unit Südhessen, wagte nicht, die Augen zu öffnen. Kotzübel war ihm bei der Vorstellung, Licht könnte seine Sehnerven treffen. Na ja, eigentlich war ihm auch so schon kotzübel. Er fühlte sich wie ein alter, angefahrener Fuchs, der bei Starkregen auf der A5 seine Eingeweide hinter sich herschleppte. Die Sonne warf durch das Fenster auf der Westseite einen Fächer Licht ins Zimmer, er spürte sie auf der Haut. Später Nachmittag – er hatte den ganzen Tag verschlafen. Was schnarchte da neben ihm? Er drehte den Kopf, so weit der kleine Typ mit dem Presslufthammer hinter seiner Stirn es zuließ, und blinzelte durch die Lider. Das Wesen auf der anderen Seite der Matratze schien nur aus wasserstoffblonder, zerzauster Dauerwelle, verschmiertem Lippenstift, verlaufener Wimperntusche, Titten, Beinen und Alkoholdunst zu bestehen. Und diese eingetrocknete Kruste an ihrer Unterlippe, war das vielleicht …? Vince versuchte, sich zu erinnern. Er hatte die Schlampe im Capones in der Frankfurter Straße kennengelernt. Sie hatten einige Mojitos zusammen versenkt, und weil sie so nett war, über seine angestaubten Gags zu lachen, als würde er die Daily Show moderieren, hatte er noch ein paar Sidecars und Wallbangers auffahren lassen. Die Quittung für den Exzess, die er gerade erhielt, war fürchterlich. Wenn er den Rest des Tages irgendwie überstehen wollte, brauchte er unbedingt einen Drink. Und zwar sofort.

     
    Yeah, Baby. So richtig ›hard boiled‹ klang das. Mit Vince Stark als literarischem Alter Ego konnte Rünz hemmungslos aufdrehen. Das war der Stoff, aus dem Bestseller gemacht wurden. Eichinger würde ihn mit Geld zuwerfen, um die Filmrechte abzugreifen. Den Special Agent konnte man vielleicht ein wenig gegen den Strich besetzen – zum Beispiel mit Hansi Hinterseer. Und wenn man schon mal die Zuschauererwartungen geschickt unterlief, warum nicht gleich Erol Sander als paranoider Schlitzer?
    Dass der Thriller im eher unspektakulären südhessischen Darmstadt spielte, war natürlich ein minimaler Schönheitsfehler. Aber was war schon perfekt auf dieser Welt? Außerdem konnte man den einen oder anderen Schauplatz etwas aufsexen, er konnte sich jederzeit auf die Freiheit der Künste berufen. Also gleich noch mal ran an die Tasten, ein kleiner Zeitsprung nach dem Katerfrühstück würde die Spannung auf dem Siedepunkt halten.

     
    Der eisige und feuchte Herbstwind pfiff durch die Häuserschluchten, packte ihn im Nacken wie die kalte Faust eines riesigen Zuhälters. Vince Stark schnippte seinen Zigarettenstummel auf den nassen Asphalt, die Glut verlosch zischend. Er schlug sich den Mantelkragen hoch. Fast allein war er auf dieser gottverlassenen Rheinstraße, zu dieser gottverdammten Uhrzeit. Die Neonlichter der Bordelle und Spielcasinos spiegelten sich in den Pfützen, und die wenigen Nutten, die sich in den Hauseingängen in ihren Netzstrümpfen die Ärsche abfroren, waren dritte Wahl. Zwei schwarze Crackdealer cruisten den Boulevard auf und ab, in einem aufgepimpten 67er Mercury Cougar.

     
    Rünz zögerte. Er hatte die Rheinstraße literarisch irgendwo zwischen Las Vegas Strip, 18th Street in Los Angeles und Reeperbahn angesiedelt; der eine oder andere Darmstädter würde den Unterschied zur Realität sicherlich bemerken. Aber auf solche
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