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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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zurückzukommen?
    »Was heißt ›Koffer‹ auf Englisch?«, fragte Kevin.
    »Wen fragst du, mich oder Schannin?«, fragte Brecker.
    Janine, Breckers Partnerin seit seiner Scheidung, lehnte im Türrahmen, betrachtete die Szene stoisch und ließ Kaugummiblasen platzen.
    »Egal«, sagte Kevin.
    Brecker gehörte nicht zu den besonders aufmerksamen und sensiblen Menschen, aber sogar ihm fiel auf, dass sein Sohn ihn seit einiger Zeit nicht mehr mit ›Papa‹ anredete. Und weil es ihm offensichtlich unangenehm war, Breckers Vornamen zu verwenden, vermied er einfach jede direkte Anrede.
    »Keine Ahnung«, grummelte Brecker. »Wofür musst du das wissen, du gehst in die zweite Klasse, verdammt noch mal.«
    »André sagt, Englisch ist total wichtig«, verkündete Kevin.
    Aha, dachte Brecker, diesen Nadelstreifenwichser redet er also mit seinem Vornamen an. Fehlte nur noch, dass er ihn ›Papa‹ nannte.
    »Weiß dieser André auch, wie man eine Woche im Wald überlebt ohne Sushi, Blackberry und Satin-Bettzeug?«
    »Muss doch heute keiner mehr, im Wald überleben. André sagt, man muss wissen, wie Wirtschaft funktioniert.«
    »Ich nehm dich mit ins Rühmanns, dann weißt du, wie ’ne Wirtschaft funktioniert.«
    »Nicht die Wirtschaft«, widersprach Kevin. »André hat mir letzte Woche gezeigt, wo er arbeitet! In einem riesigen Hochhaus in Frankfurt, ganz oben!«
    Toller Typ, dachte Brecker.
    »Papa?«, fragte Kevin nach kurzer Pause leise und vorsichtig. Aha, ging also doch noch, das mit ›Papa‹. Klang aber ganz nach taktischem Einsatz.
    »Was ist los, brauchst du wieder einen Übersetzer?«
    Kevin schlug sein Heft zu, bevor er weiterredete, packte die Stifte in sein Mäppchen, legte die Schulutensilien in die Reisetasche, die neben seinem Stuhl auf dem Küchenboden stand, und nahm eine kleine portable Spielekonsole heraus.
    »Ich will in den Herbstferien lieber mit Mama und André nach Amerika fliegen als mit dir an die Nordsee fahren. Mama sagt, sie hat nichts dagegen. Ich soll dich fragen, ob du was dagegen hast.«
    Aha, daher wehte der Wind. Brecker kochte, er hatte alle Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. »Da muss ich mit Mama noch mal in Ruhe drüber reden«, knirschte er.
    Seit einer Stunde lehnte er an der Küchenarbeitsplatte und hielt Kevins Geburtstagsgeschenk hinter seinem Rücken versteckt. Seine schweißfeuchten Hände hatten das Geschenkpapier durchgeweicht, aber er musste noch warten, den richtigen Moment erwischen. Viel hing ab von diesem Präsent. Vielleicht alles. Hatte er schon zu lange gewartet? Noch ein Jahr zuvor hätte der Kleine es ihm aus den Händen gerissen – aber jetzt? Noch nicht mal gefragt hatte Kevin. Als könnte von seinem leiblichen Vater ohnehin nichts Bemerkenswertes mehr kommen.
    Brecker war noch nie so unsicher gewesen seinem Sohn gegenüber. Seit er ihn nur jedes zweite Wochenende sah, hatte die gemeinsame Zeit eine völlig andere Bedeutung. Zwei Wochen Trennung waren eine lange Zeit für so einen Knirps. Wenn Kevin seinen Vater sah, brauchte er jedes Mal eine oder zwei Stunden, um sich wieder an ihn zu gewöhnen. Früher, vor der Scheidung, hatte Brecker den Kleinen erst mal angemosert, wenn er abends nach Dienstschluss nach Hause gekommen war. Einfach so, um Dampf abzulassen. Kevin war damals so etwas wie ein selbstverständlicher, oft nervender Bestandteil der Wohnungseinrichtung gewesen. Aber heute schienen die Rollen wie ausgetauscht. Kevin schien nur darauf zu warten, am Sonntagabend zurück zu seiner Mutter und ihrem neuen Lover zu kommen, und Brecker war in der kurzen gemeinsamen Zeit dankbar für jedes Zeichen von Interesse und Zuwendung von seinem Sohn.
    Kevin hatte die Füße auf einen der anderen Stühle hochgelegt und die Konsole in Gang gesetzt. Der kreischende Lärm hochtouriger Rennmotoren füllte die Küche. Brecker betrachtete das Gerät. Es war nicht der Nintendo DS, den er dem Kleinen ein Jahr zuvor geschenkt hatte. Dieses war ein moderneres Gerät – leichter, kompakter, eleganter, und, sofern Brecker das aus zwei Metern Entfernung beurteilen konnte, mit viel größerem Bildschirm.
    »Neue Konsole?«, fragte Brecker möglichst beiläufig. Als existierte noch irgendetwas Beiläufiges in der Beziehung zu seinem Sohn.
    »Die PSPgo von Sony! WLAN, Bluetooth, Skype, alles drin. Der Hammer! Hat André mir geschenkt«, sagte Kevin hoch konzentriert ohne aufzublicken. Er jagte gerade einen Gallardo über die Nordschleife des Nürburgrings.
    »Was ist mit der
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