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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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DS?«, erkundigte sich Brecker.
    »Damit wirst du heute auf dem Schulhof ausgelacht. Haben wir bei Ebay vertickt.«
    Wer war ›wir‹? Kevin und dieser André? Half dieser Lutscher Kevin inzwischen dabei, die Geburtstagsgeschenke seines leiblichen Vaters im Internet zu verkaufen? Brecker verkniff sich Nachfragen, er wollte auf keinen Fall eifersüchtig wirken. Er wollte nicht den dünnen Faden zerreißen, der ihn noch mit seinem Sohn verband.
    Kevin schien seinen Fauxpas mit einem Mal zu bemerken. »Du bist doch nicht böse deswegen, Papa?«
    Aha, ›Papa‹ schon wieder, diesmal als versuchte Wiedergutmachung.
    »Kein Problem«, sagte Brecker. Plötzlich kam er sich mit seinem schweißnassen Geschenk so lächerlich vor. Was war eine über hundert Jahre alte, kleine Messingfigur, die Buffalo Bill mit einer Gatling Gun darstellte, gegen eine nagelneue PSPgo? Er war ein Idiot. Mit altbackener Tradition und Nostalgie gegen bunt glitzerndes HighTec ins Feld zu ziehen, war ehrenvoll, aber dumm. Warum sollte er sich noch etwas vormachen – der richtige Zeitpunkt war lange vorbei. Die Staffelübergabe war gescheitert, der generationsübergreifende Männerbund aufgelöst. Kevin würde kein Polizist werden, er würde BWL studieren und irgendwann einen Haufen Geld verdienen, indem er andere Leute ganz legal übers Ohr haute. So wie dieser André.
    »Oh, ist das mein Geschenk, Papa?«
    Brecker war völlig in Gedanken versunken gewesen, hatte das winzige Päckchen nicht mehr akkurat hinter seinem Rücken versteckt. Kevin war schon auf den Beinen und riss es ihm aus der Hand, bevor er sich rühren konnte. Das Kind zerfetzte das Geschenkpapier, fingerte fieberhaft an der Öffnung der Pappschachtel, und Brecker beobachtete gebannt das Gesicht seines Sohnes, die Aufregung und Vorfreude, das kurze Aufblitzen von Enttäuschung, als er die alte Messingfigur in der Hand hielt, der Kontrollblick zu seinem Vater, das schlechte Gewissen, die gespielte Freude.
    »Super, die Buffalo-Bill-Figur. Die wollte ich schon immer haben. Danke, Papa!«
    Kurze Umarmung. Dann die Figur schnell rein in die Reisetasche, danach – etwas sorgfältiger – die Spielekonsole. Wenn die Nerven blank lagen, registrierte selbst ein roher Zwei-Zentner-Klotz wie Brecker jede Einzelheit, obwohl niemand aus seinem Umfeld diesem Berserker solch empfindliche Antennen zugetraut hätte. Brecker war hart im Nehmen, er hätte es ertragen, von seinem achtjährigen Sohn gehasst zu werden, und irgendwie hätte er auch völlige Gleichgültigkeit überstanden. Aber Mitleid – das war zu viel. An diesem Tag zerbrach etwas in dem Hünen vom zweiten Darmstädter Polizeirevier.

     

4

    Eine plausible Erklärung für Captain Jerome D. Sullivans Flug in den Tod hatte niemand im April des Jahres 1997. Weder die Experten der US Air Force, die für die Untersuchungskommission arbeiteten, noch seine Freunde, Bekannten und Kameraden. Sullivan galt bei allen als zielstrebiger, ehrgeiziger und optimistischer Patriot, ein kerngesunder Mann, der Selbstdisziplin und Risikofreude in dem für Kampfpiloten perfekten Verhältnis in sich vereinte. Der Zweiunddreißigjährige verfügte zum Zeitpunkt seines Absturzes über fünfzehn Jahre Flugerfahrung, davon vier Jahre bei der Air Force. Ein anderer Beruf war für ihn nie infrage gekommen. Er war genetisch vorbelastet – Air-Force-Veteran Colonel Richard Sullivan, Jeromes Vater, hatte seine Orden bei Einsätzen über Korea und Vietnam verdient. Sein Onkel Donald Wilson Hurlburt flog Kampfeinsätze mit der Boeing B-17 im Zweiten Weltkrieg und wurde Namenspatron des Hurlburt Fields in Florida, dem Hauptquartier des Air Force Special Operations Command. Und hätte J. D. Sullivan zu Lebzeiten je Ahnenforschung betrieben, so wäre ihm aufgefallen, wie sich die Neigung zu Berufen, die einen Aufenthalt in großen Höhen voraussetzten, in der männlichen Linie von Generation zu Generation durchgepaust hatte. Sein Urgroßvater war in den 60er-Jahren des neunzehnten Jahrhunderts Wärter des legendären Barnegat Leuchtturms an der Nordspitze von Long Beach Island gewesen. Er hatte dort mit einer einheimischen Hotelbesitzerin einen Sohn gezeugt, Sullivans Großvater, der nach der Jahrhundertwende mehrere Jahre eine gottverlassene Wetterstation am Mount McKinley in Alaska betreute. Diese seltsame genetische Disposition reichte auch in die feineren Verästelungen des Stammbaums – da war ein Cousin, der seinen Lebensunterhalt als Anstreicher in der
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