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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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verwarf diese Hypothese. Die Aktivierung des Schleudersitzes hätte sofort eine Funkbake aktiviert, deren Signal registriert worden wäre.
    Als zwanzig Tage nach Sullivans rätselhaftem Verschwinden die Besatzung eines MH-53-Suchhelikopters Metallfragmente an den schneebedeckten Hängen des Gold Dust Peak entdeckte, glaubte niemand mehr an sein Überleben. Die Absturzstelle stellte die Bergungsteams vor große Herausforderungen; das Areal lag auf dreitausend Metern Höhe direkt unterhalb des Gipfels, ein extrem schwieriges Gelände. Eine frische Mure versperrte den einzigen befahrbaren Weg. Wind, Wetter und Schnee schienen sich gegen die Retter zu verschwören. Lawinenexperten mussten oberhalb der Absturzstelle mit Sprengungen für kontrollierte Abgänge sorgen, bevor die Bergungsteams einigermaßen sicher ihre Arbeit aufnehmen konnten.
    Die Trümmer waren auf einer Fläche von einem Quadratkilometer verteilt, Teile der Pilotenkanzel und des Cockpits lagen jenseits eines Felssattels oberhalb der Absturzstelle. Noch einmal vergingen mehrere Tage, bis das Wrack der A-10 sicher identifiziert war. Und erst vier Monate später konnten Sullivans sterbliche Überreste geborgen werden.
    Auch die Autopsie des Leichnams lieferte keine schlüssige Erklärung für Sullivans Irrflug – keine Überreste von Drogen, keine sonstigen Anzeichen für eine Intoxikation. Damit war die Theorie widerlegt, Sullivan sei bei der Luftbetankung durch einen technischen Defekt giftigen Treibstoffdämpfen ausgesetzt gewesen. Die Auslösemechanismen von Schleudersitz und Fallschirm waren intakt – abgesehen von den durch den Aufprall verursachten Beschädigungen.
    Nachdem die Untersuchungskommission im Ausschlussverfahren eine Erklärung nach der anderen verwerfen musste, blieb am Ende der Suizid. Sullivans Kameraden und Freunde reagierten entrüstet auf die Schlussfolgerungen der Air Force, mussten sich aber eingestehen, dass alle sonstigen Hypothesen durch die Fakten entkräftet waren.
    So weit der offizielle Abschlussbericht. Neben der offiziellen Version übergab die Untersuchungskommission dem Air Combat Command Anfang Oktober 1997 einen als ›classified‹ deklarierten Report, der sich mit der Bergung und dem Verbleib von Bewaffnung und Munition der Thunderbolt befasste. Sullivans Maschine hatte das Flugfeld in Tucson voll aufmunitioniert verlassen, mit zwei ungelenkten Mehrzweck-Freifallbomben vom Typ MK-82, sechzig Magnesium-Flares zur Abwehr von Lenkwaffen mit Infrarotsuchkopf und über eintausend Stück dreißig-Millimeter-Munition. Der größte Teil der Bordbewaffnung und -munition konnte im Umfeld der Absturzstelle sichergestellt werden. Was fehlte, war das Herzstück der Thunderbolt – die Gatling.

     

     

     

     

     

5

    Rücklings, regungslos, mit speckiger Arbeitshose und veröltem Feinripp-Unterhemd an die Werkbank gelehnt, die Beine breit auseinandergestellt, die Füße in den derben Arbeitsschuhen mit den Spitzen nach außen gedreht, den Kopf mit dem ausgemergelten, grauen Gesicht und den vorstehenden Backenknochen müde seitwärts auf die Brust gelegt, die muskulösen Arme schlaff herunterhängend und die riesigen, schwieligen Handflächen nach vorne geöffnet – wie ein völlig erschöpfter Held der Arbeit nach einer langen Nachtschicht am Hochofen wirkte der Mann, apathisch und ausgepumpt, als wollte er sagen: ›Seht her, das war mein Werk, ich habe es mit meiner Hände Arbeit erschaffen, jetzt bin ich müde.‹
    Die Pose erinnerte Rünz an die kitschigen Wandpanoramen und Gemälde des Sozialistischen Realismus im Arbeiter- und Bauernstaat. Auch das Hintergrunddekor in diesem Stillleben wirkte stimmig, die alte Esse neben der Werkbank, Richtplatte und Härtebecken, Gesenke, Stanzen, Amboss, Schmiedehämmer und -zangen gaben der Szene authentisches, proletarisches Kolorit. Die gesamte Ausstattung der Schlosserei wirkte wie aus einer anderen Epoche; Stanz- und Bohrmaschinen, Abkantpressen, Hubwagen, Laufkräne und Schmiedeesse schienen schon einige Jahrzehnte Arbeitseinsatz hinter sich zu haben. Die Luft roch nach rostigem Metall, Öl und kalter Asche.
    Rünz stand im Eingangstor der Werkstatt. Niemand nahm Notiz von ihm. Die Kriminaltechnikerin Sybille Habich schnarrte knappe Kommandos durch den Raum, ihre Mitarbeiter packten Probenbehälter und Instrumente ein. Rünz’ Assistent Ansgar Wedel saß in einer abgeteilten, verglasten Box, die dem Schlosser offensichtlich als Büro gedient hatte, vor einem alten
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