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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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Truppe verdiente, die die Golden Gate Bridge in Schuss hielt. Ein weiterer gehörte zu der Handvoll verrückter Freeclimber, die die ›Nose‹ am El Capitan, einem über eintausend Meter hohen Granitmonolithen im kalifornischen Yosemite-Park, in weniger als vier Stunden durchklettert hatten. Und dann war da noch ein Halbbruder, der sich in Deutschland als Kranführer auf Hochhaus-Baustellen in Frankfurt am Main seinen Lebensunterhalt verdiente.
    Die Irrungen und Wirrungen, die kleineren und größeren biografischen Brüche und Umwege, die Heranwachsende gewöhnlich durchmachten, bis sie ihren Platz in der Welt der Erwachsenen fanden, waren Jerome D. Sullivan zeitlebens fremd geblieben. Im Rückblick betrachtet schien seine gesamte Biografie planvoll und strategisch auf den Dienst am Steuerknüppel ausgerichtet. Sportflugzeuge flog er, bevor er ein Auto fahren konnte. Nach seinem Abschluss in der Wantagh High School im Nassau County studierte er Luft- und Raumfahrttechnik am New York Institute of Technology in Old Westbury. Er nahm dort erfolgreich an einem universitären Ausbildungsprogramm der US-Streitkräfte teil. Nach seinem Abschluss im Jahr 1990 arbeitete er vier Jahre als Fluglehrer auf der Laughlin Air Force Base in Texas. Danach wechselte er nach Arizona, um einen Vorbereitungskurs für eine Stationierung in Deutschland zu absolvieren. Seine Freunde und Kameraden berichteten übereinstimmend, dass er sich auf seinen Einsatz in Übersee freute. Oft erzählte er von seinem Halbbruder, den er als Zwölfjährigen zum letzten Mal gesehen hatte.
    Umgänglich, überaus hilfsbereit und ein wenig schüchtern – so charakterisierten ihn seine Vermieter in Fort Clark, einer Wohnsiedlung nahe der Air Force Base. Abends, nach dem Dienst, habe er meist auf seiner Veranda gesessen und Beethoven oder Mozart gehört. Niemals sei er trinkend oder rauchend gesehen worden.
    »Jerome lebte und atmete die Fliegerei«, erzählte Stan Fowler, ein enger Freund Sullivans, einem Journalisten des People Magazin einen Monat nach dem Absturz. Und er berichtete von einer Szene, die typisch war für den jungen Piloten: Sullivan parkte nach Dienstende seine rote Honda Gold Wing vor seinem Haus in Fort Clark. Aus der Ferne hörte er die Trompete, die das abendliche Streichen der Stars and Stripes begleitete. Obwohl außer Dienst, blieb er stehen, nahm Haltung an und salutierte, bis der letzte Ton in der Abenddämmerung verhallte.
    Sullivans Fluggerät bei der US Air Force, die A-10 Thunderbolt, trägt ihren Spitznamen Warthog, also Warzenschwein, nicht zu Unrecht. Sie gehört nicht zu den eleganten Luftfahrzeugen in den Hangars und auf den Rollfeldern der amerikanischen Luftstreitkräfte. Mit ihrem gedrungenen Rumpf, den kurzen, rechtwinklig abstehenden Flügeln und den eng am Heck anliegenden Triebwerken macht sie einen bulligen, stämmigen und unverwüstlichen Eindruck. Ihr Einsatzzweck ist die Unterstützung der Bodentruppen, ihr wichtigstes Werkzeug ist die dreißig Millimeter GAU-8/A Avenger Gatling-Gun, eine Höllenmaschine, die aus ihren sechs rotierenden Läufen pro Sekunde siebzig Projektile mit dreifacher Schallgeschwindigkeit auf ein zur völligen Zerstörung verdammtes Ziel abfeuern kann. Jedes dieser Projektile verfügt über einen siebenhundertfünfzig Gramm schweren Kern aus abgereichertem Uran, dem keine Panzerung widersteht – jedenfalls hat keine irakische Panzerbesatzung, die von einem Thunderbolt-Piloten je ins Visier genommen wurde, diesen vernichtenden Hagelsturm aus Schwermetall je überlebt. Bei maximaler Feuerkadenz absorbiert der Rückstoß der Avenger fünfzig Prozent der Schubkraft der beiden Turbofan-Triebwerke einer Thunderbolt. Das gesamte Waffensystem, mit dem rotierenden Laufbündel, der Munitionszuführung und der Vorratstrommel wiegt bei einer Länge von über fünf Metern fast zwei Tonnen. Je nach Blickwinkel konnte man die Thunderbolt also als ein mit einem schweren Maschinengewehr bewaffnetes Flugzeug betrachten – oder als ein Maschinengwehr mit hervorragenden Flugeigenschaften.
    Im bodennahen Einsatz waren Pilot und Maschine durch Flugabwehrfeuer extrem gefährdet. Doch die Entwickler hatten vorgesorgt, mit einer für Kampfflugzeuge ungewöhnlich starken Titanpanzerung und mehrfach redundanter Auslegung der funktionsrelevanten Systeme und Bauteile. So mancher Pilot hatte im Irak auch nach schwerem Beschuss sich und sein Warzenschwein sicher zum Stützpunkt zurückbringen können – Ereignisse, die
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