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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust
Autoren: Christian Gude
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Da konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits würde so ein Film Oskar ausreichend Angst einjagen, um von weiteren Besuchen bei ihm und seiner Frau abzusehen, andererseits waren sie einfach zu lächerlich, um Vorwürfen von Oskars Mutter eine Grundlage zu bieten. Allerdings brauchte seine Frau keine stichhaltigen Gründe, um ihm wochenlang wegen seelischer Kindesmisshandlung Vorhaltungen zu machen. Also verwarf er die Idee mit der Abschreckung und ging weiter die Titel auf der Suche nach kinderfreundlichem Material durch – vielleicht fand sich doch noch etwas harmloseres – und blieb bei einem Mitschnitt hängen, den er einige Wochen zuvor von einer Robert Altman-Retrospektive auf ARTE gemacht hatte. Normalerweise scheute er dieses ganze ARTE-Cineasten-Arthouse-Gewese wie der Teufel das Weihwasser, aber ein Filmtitel wie ›Buffalo Bill und die Indianer‹ gab doch zu den schönsten Hoffnungen Anlass. Und Cowboys und Indianer – existierte für einen Achtjährigen eine reizvollere Einführung in die Ästhetik des bewaffneten Konfliktmanagements? Kurz überlegte der Kommissar, ob er Oskar vor dem Fernseher alleine lassen und sich wieder seinem Vince-Stark-Plot widmen sollte, entschied dann aber, ihm Gesellschaft zu leisten, weil er den Film selbst noch nicht angeschaut hatte.
    Die Aufzeichnung begann einige Minuten vor dem Vorspann, der französische Moderator, der durch den Themenabend führte, erzählte mit deutscher Synchronstimme etwas über Altman, alles klang furchtbar nach Kultur, Anspruch und Bedeutung. Rünz drückte den schnellen Vorlauf.
    Die ersten Filmminuten verwirrten den Kommissar, und der kleine Oskar war so aufgeregt, dass er nervös auf dem Ärmel seines Schlafanzuges herumbiss. Eine Gruppe von Rothäuten griff ein Dorf weißer Siedler mitten in der Prärie an, einige Hütten brannten, einige Schüsse fielen, Frauen schrien, Kinder liefen kreischend durcheinander – aber alles wirkte so lächerlich unrealistisch und billig inszeniert wie Jack Arnolds schreckliche Amazonas-Monster. Und plötzlich, auf das lautstarke Kommando eines Mannes außerhalb des Bildausschnittes hin, erloschen die Feuer auf den Dächern der Hütten. Indianer und Siedler stellten die Kämpfe ein und Freund und Feind versammelten sich friedlich um einen Herrenreiter auf einem stattlichen Schimmel, im edlen Wildleder-Ornat, mit breitkrempigem Hut, perfekt onduliertem, grauem Haupthaar und präzise getrimmtem Victor-Emanuel-Bart. Sie nahmen seine Regieanweisungen entgegen.
    »Hey, das ist doch Paul Newman«, rief Rünz.
    Oskar schaute ihn verständnislos an.
    »Na, der Typ auf dem Schimmel, der den Buffalo Bill spielt«, ergänzte Rünz. »›Der Unbeugsame‹, ›Man nannte ihn Hombre‹, ›Flammendes Inferno‹, klingelt es jetzt bei dir?«
    Bei Oskar schien immer noch kein Groschen zu fallen. Rünz musste sich eingestehen, dass er den Altersunterschied zwischen ihm und dem Kleinen vielleicht doch unterschätzt hatte. Jede Generation hatte wohl ihre eigenen Helden, Oskars hießen wahrscheinlich Sponge Bob, GI Joe, Bart Simpson und Kim Possible.
    Der Film, so stellte sich allmählich heraus, drehte sich um eine Wild-West-Show, mit der William F. Cody alias Buffalo Bill nach seiner aktiven Zeit als Büffel- und Indianerjäger in Nordamerika auf Tournee gegangen war, um seine Pensionskasse aufzubessern. Altman bot eine Montage aus Nummern der Show und dem Geschehen hinter der Bühne – das Einstudieren neuer Showelemente, Querelen, Intrigen und Eifersüchteleien im Ensemble, Besetzungsprobleme, der Ärger über schlechte Pressekritiken und über die Probleme beim Engagement der Indianer.
    Dieser Cody nötigte Rünz Respekt ab – hatte der doch tatsächlich zu Lebzeiten seine eigene Legende vermarktet! Ein Mann ganz nach Hovens Geschmack, vielleicht würde Rünz seinem Vorgesetzten die DVD mal ausleihen.
    Der Knabe amüsierte sich ein Loch in den Bauch über die Showtruppe, er nahm zum Lachen sogar ab und zu den Ärmel aus dem Mund. Klopfte jemand aus Bills Showtruppe einen lustigen Spruch, prustete und wieherte Oskar so heftig, dass sein kleiner Körper aufbebte.
    Codys Wild-West-Show folgte – sofern man Altmans filmische Bearbeitung für glaubwürdig halten mochte – einer geschickt komponierten Dramaturgie mit stetig ansteigender Spannungskurve. Zur Einführung zeigten Lassokünstler ihre Fertigkeiten, dann folgten Kunstreiter, die stehend auf den Rücken ihrer Pferde durch die Arena fegten. Eine
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