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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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aus, dann die Hose, nachdem er den Paß aus der einen, die Geldtasche aus der anderen Hosentasche genommen und auf den Tisch gelegt hatte. Als Unterhose trug er wie Sarani weite, weiße Boxershorts aus Baumwolle – sie hatten am Broadway in Manhattan im Ausverkauf zwanzig Stück für jeden erworben, zu viel für ein Leben, wie sich herausstellte, denn diese Unterhosen waren unverwüstlich, ein Beweis für die These von Zacharias und Heinrich, daß Amerikaner mehr wert auf Strapazfähigkeit legten als Araber und Europäer.
    Zurück im Atrium rückte Freudensprung den Sessel vom Schatten ins Licht, schob den Tisch zu sich, genoß die Wärme der tiefstehenden Sonne – dieser Tag, sagte er zu sich, der längste seines Lebens, neige sich endlich dem Ende zu –, betrachtete die Schachtel Zigarillos und die Flasche Grappa, hatte dabei das Empfinden, zwar allein im Atrium, aber nicht allein auf der Welt zu sein, zündete sich einen Zigarillo an, legte ihn auf den Aschenbecher, schenkte Grappa ein, nippte aber nicht daran, sondern schaute um sich und sah sich von diesem Raum verzaubert.
    Die Höhe des Raums schätzte Freudensprung auf drei Meter; das Mauerwerk bildete ein Quadrat, etwa zehnmal zehn, in jede Seite waren zwei Türöffnungen eingelassen, manche durch eine Milchglastür geschlossen, manche ohne Tür, was sich dahinter verbarg, wußte Freudensprung noch nicht. Das Dach des Atriums sprang auf allen Seiten zirka zweieinhalb Meter vor, die Öffnung in der Mitte betrug fünf mal fünf Meter; genauso groß das quadratische Bassin, in dem, man merkte es an kleinen Strudeln, das Wasser bewegt wurde, so daß seine Kühle und sein Geruch das Atrium erfüllten.
    Die Mauern waren aus Lehmziegeln, gelb, in der Wüstensonne getrocknet, nicht im Feuer gebrannt, und mit weißer Farbe dünn überstrichen, so daß sie sowohl das Gelb behielten als auch weiß strahlten. Der weiße Plafond des Atriumdaches stützte sich nur auf vier schlanke Säulen, sie standen an den Eckpunkten des offenen Quadrats und waren tiefrot lackiert. Daß auch der Thonetsessel, auf dem Freudensprung saß, in ähnlicher Farbe gehalten war, etwas heller, dunkelrot, sah Freudensprung erst, während sein Kopf langsam auf die Brust sank. Als er am nächsten Morgen, der Wecker neben dem Bett zeigte sechs Uhr, aufwachte, wußte er nicht, wie er ins Bett gekommen war. Er stand auf, ging aufs Klo, kniete sich im Atrium an den Rand des Bassins und wusch sich das Gesicht, setzte sich auf den Steinboden, der wärmer war als die Luft, und gelangte zu dem Schluß, daß er im Sessel zusammengesunken und von Karem zu Bett gebracht worden sein mußte.
    Das Altern, dachte Freudensprung, sei eine ununterbrochene Folge von Demütigungen, die als normal zu empfinden er noch nicht alt genug sei. David habe ihm die Freundin weggeschnappt, nun regrediere Heinrich zum Kind, das, auf dem Sessel eingeschlummert, ins Bettgetragen werde. Er frage sich, wer ihm nächstens den Hintern auswische.
    Er hörte jemanden ein Glas füllen und rief, ob Zacharias in der Küche sei, der kam aber schon mit einem Glas Wasser ins Atrium und bat Heinrich, nicht so laut zu reden, sie seien nicht allein im Haus, auch sei es erst sechs Uhr am Morgen, zu früh fürs Frühstück, außerdem liege ihm noch das Abendessen im Magen, weshalb er schlecht geschlafen habe, anders wahrscheinlich Heinrich, der, jedenfalls sei das früher so gewesen, am besten mit vollem Magen schlafe.
    Er sei froh, sagte Freudensprung, nicht wie in den vergangenen Nächten von Albträumen heimgesucht worden zu sein, doch sei im Traum eine Geschichte aufgetaucht, die Zacharias ihm erzählt habe, als dieser an seinem ersten Arbeitstag im Stahlwerk einen Schwächeanfall erlitten hatte, allmählich zu sich kam und in einem Zustand, als sei er nicht bei Sinnen, von einem Lebensmittelgeschäft in Graz berichtete, wo man ihn nötigen wollte, die Dinge in den Regalen neu zu ordnen, was Zacharias ablehnte. Heinrich sei sowohl vom Aberwitz der Geschichte als auch von der Bestimmtheit, mit der Zacharias nein gesagt habe, beeindruckt gewesen, noch dazu, da Heinrich, der sich in Zacharias’ Lage versetzt habe, gewiß nicht so mutig reagiert –
    Er hielt inne, denn Zacharias sah ihn an, als rede er irr. In Graz, sagte Zacharias, sei er jeden Tag in ein Lebensmittelgeschäft gegangen, um eine Semmel, belegt mit hundertfünfzig Gramm Kalbspariser, zu kaufen. Nirgendwo auf der Welt habe er eine so köstliche Wurst gegessen. Er sei übrigens
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