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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns
Autoren: Michael Scharang
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und dann einen Brief an Zacharias geschrieben, in dem er ihm habe sagen müssen, er könne zu dem großen Geburtstagsfest der beiden im Februar, auf das sie seit einem Jahr hingelebt hatten, nicht kommen, er habe nicht die Kraft dazu, es gehe mit ihm zu Ende.
    Weihnachten habe er vor sich hin dösend und in der Gewißheit verbracht, sich von jenem Sturz nie mehr zu erholen – nachdem er, von seinen besorgten Kindern gefragt, wo er die Feiertage verbringe, geantwortet hatte, bei seiner alten Mutter, und nachdem er seiner Mutter auf eine ähnliche Frage versichert hatte, bei seinen Kindern. Am Silvestertag habe er, da er befürchtete, zu verwesen, am Vormittag gebadet, sich rasiert und mit einer Maschine die Haare geschnitten, daraufhin sei er in die Euphorie gefallen, noch ein paar Tage zu leben, worauf er sich festlich kleidete, Jeans, Sakko, helles Hemd anzog und eine Krawatte umband und mit der Straßenbahn vom Rand der Stadt ins Zentrum fuhr.
    Dort sei er, begierig, endlich ordentlich zu essen, von Lokal zu Lokal gegangen, doch, da Wien damals,vielleicht heute noch, von Weihnachten bis Neujahr als Touristenattraktion galt, habe er in keiner Gaststätte Platz gefunden, so daß er, zwar wissend, daß das Café Landtmann von Touristen überrannt wurde, auch noch dorthin gegangen sei, wo er in dem übervollen Lokal eine junge Frau allein an einem kleinen runden Tisch habe sitzen sehen. Daneben sei ein Sessel, der einzige, der frei war, gestanden, so daß er ganz gegen seine Art, denn er liebte es, allein an einem Tisch zu sitzen, die Frau gefragt habe, ob er Platz nehmen dürfe, er wolle sie auf keinen Fall bei ihrer Lektüre, die Frau las in einer Zeitschrift, stören.
    Sie habe aufgeschaut und gelacht, er habe, ermuntert von ihrem freien Wesen, seine Geschichte erzählt, beginnend vom Semmering bis zu dieser Minute, sie lachte Tränen, und als sie die Zeitschrift weglegte, hatte er bereits eine Lungenstrudelsuppe gegessen, wartete auf den Tafelspitz, überlegte, ob er drei Mohnpalatschinken als Nachspeise nehmen sollte; und er fragte die Frau, was sie lese. Nichts, was von Interesse sei, antwortete sie, und auf seinen Einwand, ihn interessiere auch, was nicht von Interesse sei, sagte sie, sie habe einen Aufsatz gelesen, den sie publiziert hatte, für dessen Niederschrift aber so wenig Zeit gewesen war, daß sie den freien Tag nutze, um den Aufsatz in Ruhe zu lesen. Woraus, sagte er, da er sie störe, nichts geworden sei. Der Tag, antwortete sie, sei noch nicht zu Ende. Das Jahr auch nicht, sagte er, und da sie schwieg, fragte er, ob sie Lust habe, mit ihm morgen, am letzten Tag des Jahres, einen Spaziergang zu machen, worauf sie lange nachgedacht, dann unmerklich genickt und zu ihrer Zeitschrift gegriffen habe, als Zeichen, nun wieder lesen zu wollen. Leisehabe er vorgeschlagen, sie morgen um fünfzehn Uhr von hier abzuholen.
    Tags darauf habe er die Wohnung geputzt, Lebensmittel eingekauft, habe die Frau mit dem Auto abgeholt, es sei, als sie nach Laxenburg kamen, wegen des dichten Nebels schon dämmrig gewesen, sie seien auf dem zugefrorenen Teich, in dessen Mitte ein Schlößchen steht, gerutscht und gegangen, und nach einer Stunde hätten ihre Hände sich gefunden, und sie hätten einander geküßt, aber dann aufgeschaut, weil wenige Meter über dem Teich mit lauten Flügelschlägen ein Schwanenpaar geflogen und in weitem Bogen umgekehrt sei, bis einer der Schwäne sich in einem vom Schloß zum Ufer gespannten Drahtseil verfangen habe, aufs Eis gekracht und sofort tot gewesen sei.
    Die Frau habe die Einladung, bei ihm zu Abend zu essen, angenommen, er habe zwei Forellen gebraten und auch beide gegessen, denn die Frau mochte Fisch nicht, sie hätten miteinander geschlafen, es sei eine elegische Nacht gewesen; erst am Neujahrstag hätten sie die Sprache wiedergefunden. Er habe, ermuntert von der Liebe zu Lena, zwar wieder Lebensmut gefaßt, die Absage des Geburtstagsfestes aber nicht rückgängig gemacht, im Wissen, daß Zacharias, wie Heinrich selbst, sprunghafte, willkürlich scheinende Meinungsänderungen verabscheute. Heinrich habe sich nicht in der Lage gesehen, brieflich seine Zerrüttung und die Errettung daraus darzulegen, weil er sich den ganzen Jänner nicht sicher gewesen war, nicht doch wieder im Jammertal zu landen, sei es, daß Lena sich von ihm zurückziehe, sei es, auch das habe er nicht ausschließen können, daß er aus eigenem dorthin zurückkehre.
    Erst Ende Jänner habe er das Empfinden
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