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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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ein Dialogfeld am Computer eingeben und die Enter-Taste drücken musste. Dann hatte er den Staatsapparat in Bewegung gesetzt und der Täter wurde von der Meute wie ein Tier gejagt. Das gab Baumer Genugtuung.

    Genugtuung.

    Mit dem Erfolg begann aber zugleich eine neue Unruhe zu keimen. Baumer nahm dann, zuerst nur unbewusst, wahr, wie sich eine frische Unbehaglichkeit in seinem Bauch einzunisten begann. Sie würde sich zu einem chronischen Schmerz auswachsen, der sich über Wochen verstärken würde.
    Es war das Unwohlsein dessen, der keinen Sinn und Zweck in seinem Dasein sieht. Eine krebsige Krankheit, die mit jedem Tag fortschreitet, an dem kein neuer Mord geschieht. Gegen diese Krankheit gibt es kein Heilmittel. Sie würde erst verschwinden, wenn er einen neuen Telefonanruf bekäme, in dem ihm sein Chef sagen würde: »Baumer. Wo stecken Sie? So ein Scheiß Mist. Verdammt. Haben Sie schon gehört?«
    Dann war das Leben wieder erträglich, weil er mit fremden Gedanken beschäftigt war. Ein solcher Anruf lag aber bereits mehrere Monate zurück. Damals hatte er den Täter ans Licht gebracht, wie der scharfe und unerbittliche Khamsin verborgene Grabplatten vom Wüstensand befreit.
    Es ging um eine Leiche, die man in einer Autowerkstatt beim Hegenheimerquartier gefunden hatte. Sie lag unter einem Toyota, der offenbar von der Hebebühne gerutscht war. Der etwa 30-jährige türkische Mann im legeren Businessanzug lag dort, wie wenn er sich zum Schlafen auf den Rücken gelegt hätte. Ausgestreckt. Nicht verkrümmt. Der Brustkorb war zerquetscht. Das Heck des Autos deckte den Körper des Toten von der Brust an abwärts wie ein hastig darübergeworfener Sargdeckel zu. Die Hände waren nicht vors Gesicht geschlagen. Sie lagen am Körper des Toten an.
    Baumers Kollegen waren vom Unfallhergang fasziniert gewesen und fummelten an den fünf Bügeln, mit denen man die Hebebühne in allen möglichen Dimensionen verschieben und neigen konnte.
    Baumer setzte sich hingegen zum türkischen, etwa 40-jährigen Garagisten, dem die miese Bude an der Grenze zu Frankreich gehörte und der so klein war wie ein portugiesischer Bauarbeiter. Der Mann, dem pechschwarze Bartstoppeln dunkle Schatten auf die Wangen und unter sein Kinn bis unter den Adamsapfel warfen, hatte die Polizei alarmiert.
    »Ist schwer zu überleben?«, hatte Baumer gesagt, als er sich zum Türken hingesetzt hatte.
    »Ja. Die Geschäfte sind hart.«
    »Wenig Aufträge?«, sagte Baumer beiläufig und rückte sein Gesäß im Stuhl zurecht. Interessierte er sich für die Antwort des Garagisten? Nicht wirklich. Sowieso wäre es ihm recht gewesen, wenn die Untersuchungen eine Weile dauern würden und er sich nicht mit sich selbst beschäftigen müsste. Baumer war einfach zum Garagisten gesessen, weil er darauf spekulierte, dass ihm der Mann einen echten türkischen Kaffee anbieten könnte. Dafür lohnt es sich, einen kleinen Schwatz mit einem wildfremden Menschen zu halten.
    Der Türke schob den Kopf nach vorn. »Aufträge?«, wiederholte er die Frage von Baumer und hob die Augenbrauen. Dann senkte er sie wie in Zeitlupe. »Die Schweizer fahren alle teure Kisten, Mercedes und so. Die Franzosen lassen in Mulhouse flicken.«
    »Keine Türken?«
    »Pah, die Scheißtürken. Für Tuning geben sie das ganze Geld aus, aber dann nicht zahlen«, stieß es aus dem Geschäftsmann hervor, dessen Kleidung schon bessere Tage gesehen hatte und unter dessen Fingernägeln verölter schwarzer Dreck stak. Der Nagel des linken Daumens war komplett blauschwarz unterlaufen. Wahrscheinlich hatte er sich diesen Finger kürzlich eingeklemmt.
    »Gehört euch beiden das Geschäft?«, fragte Baumer, während er den rechten Unterarm drehte und mit dem Daumen der geschlossenen Hand auf den Toten unter dem Auto wies, der bereits so kalt war wie die Kasse der Yeremi-Auto-Reparatur.
    »Ja. Wir machen das seit einem Jahr zusammen.«
    »Muss schwierig sein. So wenig Kunden«, sagte Baumer und wollte doch eigentlich nur einen Kaffee erbitten.
    Der Garagist schaute auf den Audi A3 in der hinteren Ecke. Seine linke Tür war weiß, der restliche Wagen schwarz. Den hatte er zu flicken begonnen. Neu lackieren brauchte er ihn nicht mehr. Der Besitzer würde das Auto nicht mehr abholen, da er wegen einer Alimentengeschichte in sein Heimatland geflohen war. »Die Geschäfte gehen schlecht. Verdammt. Und die Frau zu Hause gibt das Geld mit beiden Händen aus«, sagte der eher mehr als weniger korpulente Automechaniker,
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