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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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Jeans von Lee bekleidet. Selbst bei seinen 46 Jahren spannte sie seine Oberschenkel, obwohl sie ihm im Bund sogar noch eine Nummer zu groß war.
    Baumer war früher ein sportlicher Mann und sah auch jetzt noch mit seiner Größe von 1 Meter 80 stattlich aus. Er hatte für den RTV Basel und die Basler Handballauswahl gespielt. Torhüter. Seine mächtigen Oberschenkel waren ein Überbleibsel aus der Zeit als Aktiver. Auch sein Oberkörper war immer noch ziemlich muskulös. Seine Jacke schien eine Nummer zu klein gekauft worden zu sein, und obwohl sie in XL geschneidert war, zwickte sie Baumer unter den Achseln. Beim Hemd war Baumer hingegen sehr wählerisch. Er besaß nur exquisite Männerhemden aus feinster Baumwolle. Baumer trug sie nie lose über die Hüften, sondern stopfte die Schöße akkurat in den Bund der Hose. Ein breiter schwarzer Ledergürtel schien alles zusammenzuhalten, aber er war gar nicht nötig, sondern bloßer Schmuck. Auch Baumers Gesäßmuskulatur war immer noch athletisch ausgeformt und würde noch lange genügen, um den Fall einer Hose zu stoppen.
    Trotzdem war Baumer, wie mit so vielem, auch mit seiner Figur unzufrieden. In letzter Zeit hatte er sein kleines Bäuchlein immer wieder ertappt, wie es ihn zum Narren machte. Baumer musste – öfter als ihm lieb war – das aus der Hose gerutschte Hemd zurück in den Bund streichen. Er schämte sich dabei ein wenig, mehr noch, es erzürnte ihn, dass es ein Memento Mori war. Auch sein Körper würde langsam, dann immer schneller verfallen. Bald würde er auch körperlich gebückt durch Basel gehen. Meist hörte er aber zugleich eine innere Stimme, die ihm sagte: »Das ist doch nicht schlimm, Andi. Ich habe dein Bäuchlein gern.« Das beruhigte ihn ein wenig.
    Andreas Baumer blickte in den grau verwaschenen Himmel, der gleichmäßig flach dastand wie eine hohe Betonwand. Seine Jacke hatte er über die Schulter geworfen und hielt sie nur mit dem Zeigefinger am Hänger. Seine mahagonifarbenen Haare sahen aus, als wäre die Farbe darin ausgewaschen worden, dabei waren es nur die weißen Haare, die sich in immer größerer Anzahl in seinem Haar einnisteten. Einen Hut oder eine Mütze trug Baumer selten. Wenn es regnete, platschten die Tropfen eben auf seinen nackten Kopf.
    Baumer hob seine Nase in die Luft, wollte schnuppern. Es war eine Nase, die zu seinem Körper passte. Es war eine Schweizer Nase. Sie war weder besonders rund oder krumm, noch grobschlächtig, auch kein Haken. Sie war zusammengesetzt aus allerlei Zutaten und war doch eine ganz unauffällige Nase. Einzig, vielleicht wie alles an Baumer, war sie ein klein wenig knorriger als der Durchschnitt aller Nasen dieser Welt. Auch seine Augen waren eine Melange verschiedener Merkmale. In seinem Pass stand bei der Farbe der Augen: grün-braun-grau.
    »Kommt Schnee«, hörte der athletische Mann hinter sich eine sanfte, aber stakkatohafte Stimme. »Kommt Schnee.«
    Die Stimme gehörte Franz Heberlein, dem autistischen Mieter aus dem 3. Stock des Hauses an der Hochstraße, in dem auch Baumer wohnte. Obwohl Heberlein mit seinen 44 Jahren fast gleichen Alters wie Baumer war, hatte er eine knabenhafte Statur. Ein Eindruck, der durch seine schmalen Schultern nur noch verstärkt wurde. Seine flache und in der Mitte eingefallene Brust hätte die eines 12-Jährigen sein können. Seine dürren Beine unterstrichen den Eindruck der kindlichen Unschuld, obwohl solche Beine auch einem Greis hätten gehören können.
    »Kommt Schnee«, plapperte Heberlein erneut. Wie immer, wenn er mit Baumer oder irgendeinem anderen Menschen sprach, schien es nur so, als ob er eine Konversation führen wollte. In Wahrheit hatte er ganz zu sich selbst geredet.
    Baumer drehte seinen Oberkörper behäbig, schaute auf den behinderten Heberlein hinunter, sagte nichts, beobachtete nur, wie dieser Schneeriecher auf zerbrechlichen Beinen an ihm vorbeiwackelte. Sein Gang erinnerte an die Gehversuche eines kleinen Kindes. Baumer schaute ihm nach. Vielleicht hätte er etwas antworten sollen, machte sich der Kommissar Gedanken. Einen Satz entgegnen wie, »Ja, Gottverdammt. Scheiß Schnee«. Vielleicht hätte auch »Ja, Schnee« genügt. Doch Baumer war kein Plauderer. Er redete nicht mit Leuten, wenn er nicht musste.
    Baumer war Polizist. Ein »Schugger«, wie sie diesen Berufsstand in Basel verächtlich rufen. Er sprach nie viel, beobachtete umso mehr. Wenn er sich ein »Ja« oder nur schon ein »Hhmm« verklemmen konnte, tat er es. Er
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