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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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Tram festliegen. Er hatte zuerst gar nicht bemerkt, dass ihn jemand ansah. Dann entdeckte er diese bildhübsche Frau in der Tram. Sie blickte ihn mit Interesse an. Baumer schaute sie auch an.

    Und schaute.

    Wie lange schaute er in diese Augen? Länger als normal? Sicher. Dann zwang er sich wegzusehen. Blickte die Straße hinunter. Wusste, dass er wieder hinschauen wollte. Schaute wieder hin. Durch die beiden Fensterscheiben des ilcaffès und der Tram hindurch erschien das Gesicht der Frau bleicher, als es wahrscheinlich war. Das Rosarot der Haut war wie mit Milch benetzt und wirkte gleichmäßig blass.
    Auch die schwarzhaarige Frau schaute. Ihre Augen waren sicherlich kastanienbraun, obwohl Baumer durch die zwei Scheiben hindurch das Gesicht nicht perfekt erkennen konnte. Es kam ihm vor, als hätte der große Maler zwei Tropfen Weiß ins warme Braun gemischt, als er die Augen dieser Schönheit malte. Und mit ihnen blickte sie Baumer tief in die Seele.
    »Hallo«, sagten diese Augen ohne Scham.
    »Wer bist du?«, antwortete Baumer.
    Plötzlich ruckte die Tram an. Beide schienen zu erschrecken, doch ließen sie den Blick nicht voneinander. Baumer stand links von einem Stützpfosten, und da die Tram dahinter verschwand, bewegte er sich sofort um den Pfeiler herum und sah der Frau nach. Sie hatte ihren Blick ebenfalls weiter auf Baumer gerichtet. Ihr Kopf drehte sich wie ein Uhrzeiger gleichmäßig weiter in seine Richtung. Dann lächelte sie und für genau diesen Moment war es Baumer, als stünde er im Louvre vor diesen dicken Scheiben und schaute auf dieses kleine Bild von da Vinci. Dann spiegelte das Glas und Baumer konnte sie – wer war sie, eine Französin aus dem Süden? – nicht mehr sehen. Baumer blickte der Tram nach, bis sie aus dem Blickfeld verschwand.
    »Ja. So begann es«, sinnierte Baumer und führte den Espresso zu seinem Mund. Er saugte den ersten Schluck ein. Mehr süßer Schaum als Kaffee. Er nahm sogleich ein zweites Schlückchen und genoss diesen unendlich kostbaren Moment des Erinnerns.
    »Maja«, sagte Baumer in Gedanken, während sein Mund die Silben lautlos formte.
    Als er den letzten Schluck des Espressos trank, sog er einige bittere Kaffeebohnenkrümel ein. Sie blieben an seiner Oberlippe hängen und pieksten ihn. Als er sie mit seiner Zungenspitze wegwischen wollte, stachen sie ihn umso mehr.

    *
    Später ging Baumer vom ilcaffè zum Spiegelhof. Er überquerte den Marktplatz, ohne die Marktstände der Elsässer zu beachten, die dort Kraut und Rüben anboten. Nach dem Marktplatz kam die Schifflände mit dem achteckigen Brunnen, wo die Fischer ihre Fische putzten und gleich verkauften, damals, als es noch Salme gab im Rhein. Gleich angrenzend folgte der Spiegelhof, wo Baumer sein Büro hatte. Vor der Durchfahrt in den Hof des Polizeistützpunktes stand ein Polizeiauto quer über die Straße. Es war die Nachtpatrouille. Sie hatte offenbar soeben in die Einfahrt einbiegen wollen, war aber mitten auf der Straße gestoppt. Baumer sah Heinzmann, den altgedienten Wachtmeister, und den jungen Meier, seinerseits Gefreiter, im Wagen.
    Heinzmann war Baumers bester Freund. Beide kannten sich, seitdem sie zusammen in die Rekrutenschule gegangen waren. Heinzmann war breitschultrig, etwa 1 Meter 85 groß, die Schulterstücke mit den Insignien eines Wachtmeisters Klasse 1 waren längst verwaschen. Auch jetzt im Wagen hatte der Chef der Patrouille seine Mütze auf. Er blickte starr geradeaus. Meier hatte das Mikrofon in der Hand. Baumer glaubte zu erkennen, dass der junge Gefreite sagte: »Verstanden ... Verstanden. Ja. Ja.«
    Zeitgleich mit dem »Verstanden. Ende« von Meier – Baumer las es ihm von den Lippen ab – schaltete Heinzmann die Sirene auf große Lautstärke, wendete rasant und brauste los. Nur ein paar Meter weiter stieg Heinzmann voll in die Eisen. Die Reifen quietschten und der rechte Hinterreifen schliff kurz über den Boden. Heinzmann hatte Baumer beim Wendemanöver aus den Augenwinkeln heraus erkannt und den Wagen abgeblockt. Nach einer Sekunde flog die rechte Tür auf. Der gedrungene Gefreite sprang heraus und rief Baumer zu, ja schrie ihn eigentlich an: »Steig ein! Schnell. Schnell.« Sein linker Unterarm machte dabei wilde Schaufelbewegungen in Richtung des Einsatzwagens.
    Baumer fragte nichts, wusste, dass es hier um ein Menschenleben ging. Er lief los und sprang hinten ins Auto, Meier vorn. Sofort trat Heinzmann das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der getunte Motor brüllte laut
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