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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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Blick-Reporter nie selbst in den Vordergrund gerückt hatte. Er schrieb über seine eigene Rolle, die insgesamt beachtlich war, nur insofern, als es für das Verständnis der Leser notwendig war. Ins Zentrum stellte er seine Taten nie.
    Gianni räumte die Zeitung zur Seite, letztlich froh, dass die Geschichte endlich vorbei war. Sein Blick fiel auf die schmucke Karte, die auf dem Tresen stand. Sie kam von Dr. Regazzoni, der seine Heirat mit Anita Blohmstein, seiner langjährigen Sekretärin, Freundin und Geliebten bekanntgab. Gianni hatte sie schon vor ein paar Tagen erhalten. Das Datum der Heirat war knapp gewählt, aber der Professor wollte so schnell wie irgend möglich heiraten und keinerlei Risiko eingehen, dass noch irgendetwas Unvorhergesehenes seine Vermählung hätte verhindern können.
    Gianni wollte eine neue CD einlegen, als er von draußen eine Sirene wahrnahm. Es war nicht die Melodie eines Feuerwehrhorns, sondern die schräge Quarte einer Polizeisirene. Der Lärm kam rasch näher, wurde lauter und lauter. Gianni drehte sich erstaunt, als er nicht wie üblich vorbeirauschte und auch der Ton aufgrund des Dopplereffektes nicht tiefer auslief. Das Martinshorn plärrte direkt vor dem ilcaffè weiter. Ein Riesenkrach. Gianni schaute neugierig an zwei Gästen vorbei, die sich ebenfalls zur Sirene hingedreht hatten, und erkannte draußen Heinzmanns Mercedes. Dessen Scheinwerfer blitzten, das Blau- und das Gelblicht zuckten und forderten wie in einer Disco zum heißen Tanz auf. Am Steuer erkannte Gianni Stefan Heinzmann und neben ihm Andreas Baumer, der extrem tief im Wagen lag und gequält, aber immerhin, lachte.

    Baumer!

    Gianni sprang vor das ilcaffè und zum Mercedes, riss die Beifahrertür auf, stürzte sich in Baumis Arme. Der Kommissar konnte sich nur mühsam Giannis Umarmung – und seiner Küsse! – erwehren. »Ja, ja, ist ja gut!«, beschwichtigte Baumer seinen Kumpel.
    »Baumi«, heulte Gianni. »Was für eine wunderbare Überraschung.«
    »Da staunst du was, Gianni?«, lachte Heinzmann von der anderen Seite des Autos her. »Andi hat es im Spital nicht mehr ausgehalten. Also hab ich ihn gleich hergebracht.«
    »Wunderbar! Super! Komm, jetzt gibt’s einen geilen Espresso!« Er half Baumer aus dem Sicherheitsgurt, und zusammen mit Heinzmann hob er den Rekonvaleszenten aus dem Auto, dabei das vom Fuß bis um das Becken geschiente rechte Bein besonders schützend.
    Gemeinsam trugen sie Andi über die zwei Tritte beim Eingang und halfen ihm ans Brett an der großen Fensterscheibe, an das er anlehnen wollte. Einen Stuhl lehnte er vehement ab. Er stand auf seinem gesunden Bein, entlastete das andere, dessen Oberschenkelknochen von Dr. Labhardt, Oberarzt der Chirurgie im Kantonsspital Basel, mit einer Metallschiene fixiert worden war. Vier Knochensplitter hatte der Arzt zuvor wie bei einem Puzzle zurück an den richtigen Ort gesetzt und mit neuartigem, gentechnisch hergestelltem Leim wieder angeleimt. Die von einem weggeplatzten Knochensplitter durchschnittene Arterie war wieder zusammengenäht worden. Die Operation war ohne Probleme verlaufen, die Arterie wurde gut durchblutet und würde wieder gesunden. Das Bein schmerzte natürlich noch, aber Baumer hatte in diesem Moment, wo er endlich wieder im ilcaffè war, alle Pein vergessen.
    Gianni sprang blubbernd an die Cerruti-Maschine und machte drei supergeile Espressi. Die stellte er auf ein Tablett, balancierte sie tänzelnd zu den beiden Polizisten und reichte seinen Freunden je ein Espressotässchen. Das Dritte nahm er selbst und führte es hoch an seine spitzen Lippen. Mit glücklich geschlossenen Augen nahm er seinen ersten Schluck.
    Heinzmann und Baumer hatten derweil über irgendetwas gelacht und Gianni warf sich in ihr Gelächter, wie sich ein Clown stolpernd in die Manege stürzt und vom Lachen der Kinder aufgefangen wird. Zusammen scherzten sie und amüsierten sich und vergaßen sich und ihre Probleme und lachten und träumten und wollten nicht mehr wissen, dass die Welt so ist, wie sie ist, und Basel nur eine kleine große Stadt am Rhein, der nach Holland führt und sich dann verliert in einem Meer, das immer weiter, weiter führt, bis hin zum fernen, schönen, glitzernden Amerika.

    ENDE

Der Autor
    Roger Aeschbacher wurde 1961 in Basel geboren. Der promovierte Molekularbiologe, der drei Jahre lang in New York forschte und auch ein Diplom als bildender Künstler der heutigen Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel besitzt, ist seit 2003
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