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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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und wer sich vor Verantwortung drückte. Die Arbeitslosen waren meist korrekt gekleidet. Vielleicht eine Spur weit aus der Mode. Sie lasen die Tageszeitungen immer von vorn bis ganz hinten. Zeit hatten sie genug. Außerdem fiel es so nicht auf, dass sie die Stellenanzeigen ganz besonders aufmerksam durchblätterten. In ihre Lektüre vertieft, kommunizierten sie nur mit der Zeitung. Vielleicht blieben sie daher ohne Tipp für eine Anstellung. Andere Gäste brauchten nicht zu verstecken, welcher Teil der Zeitung sie interessierte. Die meisten Männer lasen oft nur den Sportteil, und da auch nur die Fußballberichte. Welchen neuen Spieler der FC Basel gerüchteweise testen würde, interessierte dabei ungemein mehr als der letzte Matchbericht vom FC Zürich aus der Champions League. Wieder andere Gäste interessierten sich nicht für Fußball. Sie waren eher dandyhaft. Hatten vielleicht ein neckisches Hütchen aufgesetzt, trugen mindestens aber einen Seidenschal. Zeitung lasen diese nicht. Nur das Men’s Quarterly. Nicht selten saßen sie mit tiefen Augenringen da. Dann hatten sie die Nacht durchgemacht. Baumer kannte viele dieser Stammgäste vom Sehen. Er grüßte sie nie.
    Einer blickte auf, als Baumer durch den Saal ging. Sah den Mann mit den großen Füßen an. Musterte ihn. Wusste vielleicht, dass hier Macht vor ihm stand. Der Gast schien davor nicht zusammenzuzucken, eher noch erregt zu werden. Er hob das Kinn und zog den Mund süffisant zusammen.
    Baumer merkte, dass ihn einer beobachtete und ignorierte dieses Spielchen. Er ging auf den Tresen zu und wurde nett begrüßt.
    »Guten Tag, was darf es sein?«
    »Zwei Espressi bitte.«
    »Zwei?«
    »Ja. Zwei. Bitte.«
    Die neue Bedienung schien leicht verwirrt, als Baumer dies verlangte, war er doch allein gekommen.
    »Einen doppelten Espresso?«
    »Nein. Zwei Espressi«, bestellte Baumer.
    Von der italienischen Cerrutti-Kolbenmaschine kam Gianni an die Theke. Er hatte soeben noch Milchschaum klappernd in zwei Gläser gefüllt und Cappuccini gemacht. Jetzt strich er sich die beiden Hände an der langen schwarzen Schürze trocken und umfasste den neuen, jungen Kellner von hinten ganz sanft um die Hüfte.
    »Oh, Luca«, säuselte er ihm ins Ohr. »Du kennst Baumer ja noch gar nicht. Luca. Das ist Andi Baumer. Andi ist unser liebster Gast hier.«
    Gianni war der Besitzer vom ilcaffè. Er war nur wenig kleiner als Baumer, hingegen so schlank wie ein Model, wenn es wegen Übergewicht seine Karriere aufgeben muss. Seine Gesichtszüge waren fein ziseliert und seine Falten waren Lachfalten. Seine kurzen schwarzen Haare waren ungewöhnlich streng geschnitten. Trotz seiner 38 Jahre hatte kein Gast jemals ein graues Haar auf Giannis Kopf entdecken können.
    Gianni war ein äußerst liebenswürdiger Mensch. Es gab Gerüchte, dass Gianni vom Bruderholz käme. Dort, wo »der Daig« wohnt, die alteingesessenen und ewig mächtigen Basler. Doch viele glaubten nicht, dass Gianni von diesem mürben Teig abstammte, denn dafür hatte der Barista ein viel zu offenes Herz. Für ihn war jeder Gast sein liebster Gast.
    Auch an diesem Morgen strahlte Gianni Baumer an. »Zwei Espressi. Kommt sofort.« Eine Antwort bekam er nicht von seinem liebsten Gast. Er hatte auch keine erwartet. Zu lange kannte Gianni diesen stolzen Polizisten, der so viel verschlossener als die meisten Menschen war und der fast jeden Tag bei ihm einkehrte und zwei Espressi bestellte.
    Baumer hatte sich weggedreht. Stellte sich ans Fensterbrett, schaute nach draußen. Eine Tram der Linie 8, die Tram von Kleinhüningen nach Endstation Neuwilerstraße, fuhr grün vorbei. Der Chauffeur saß verkrümmt, scheinbar gelangweilt, blickte aber weit vor sich. Danach kamen die Passagiere. Sie sahen in den Schoß. Vielleicht blätterten sie das Pendlerblatt »20Minuten« durch. Andere sahen mit leeren Augen ins Nirwana. Die meisten Passagiere hielten den Kopf schräg. Baumer sah ein Kind am Fenster. Es drückte seine Nase platt. Die Hände hatte es flach auf die Scheibe gepresst.
    Luca brachte die Espressi. Baumer hörte nicht, wie der neue Kellner sagte, »So, bitte schön, Herr Baumer.«
    Baumer fasste ein Espressotässchen, führte es zum Mund. Das andere drehte er, sodass sein Henkel auf die linke Seite zu liegen kam. Dann überkam ihn die Erinnerung. An damals. An die Nummer 8 von Kleinhüningen. Damals, als sie vor dem ilcaffè stecken blieb im Stau.
    Baumer schaute aus dem Fenster. Gegenüber sah er in seiner Erinnerung die
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