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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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Gift.
    Baumer hatte diese Gesellschaftsspiele nie mitgemacht. Er war kein Mundwerker. Er war Handwerker. Ein Polizist und ein guter Detektiv. Das war er nicht, weil er besonders schlau gewesen wäre und über die besondere Gabe des intelligenten Kombinierens verfügt hätte. Er war es auch nicht, weil er besonders aggressiv mit seinen »Kunden« umgegangen wäre und sie für ein Geständnis geschüttelt hätte, wie ein Bauer einen Zwetschgenbaum, um an die feinen Früchte zu kommen. Baumer machte einfach seine Arbeit. Das war heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Im Vergleich zu einigen der anderen Polizeibeamten eckte Baumer daher zwangsläufig mehr an, als diese. Baumer war das egal. Es kümmerte ihn nicht, was seine Vorgesetzten und Kollegen von ihm dachten. Er machte seinen Job, weil er nicht viel anderes hatte und daher nicht anders konnte. Sein Job gab ihm Sicherheit, nicht nachdenken zu müssen über sich und die Welt. Er füllte die Leere. Wenn dann ein verknorzter Fall anstand und man ihm das Dossier auf den Tisch schob, suchte er nie nach einem anderen Dummen. Er nahm das Dossier und begann seine Untersuchungen. So ging es einfacher mit dem Vergessen.
    Nicht selten meinten seine Kunden dann, dass er ein besonders schlauer und harter Hund sei. Sie dachten das, weil Baumer wenig mit ihnen sprach oder nur das Allernotwendigste. So schlossen sie, dass er wohl schon alles wisse. Weil Baumer schwieg, sprachen sie umso mehr, weil sie es nicht aushielten, wenn ihnen einer für einmal keine Vorwürfe machte. Darum hatte Baumer mehr Erfolg als die anderen Detektive, die ihre Kunden grob anfassten oder gleich richtig holzten. Darum holte man ihn, wenn ein Kunde gar nicht mehr reden wollte, weil ihm ein Großmaul in Uniform den wurstigen Finger auf die Brust gedrückt hatte, oder ins Gesicht. Dann war Baumer recht. Er bekam die vergeigten Fälle, die Schlamassel, weil er seine Arbeit machte und die ihm wichtiger war als die Karriere. Aber mit jedem Fall, den er löste, obwohl er seine Hände in den Hosentaschen behielt und nicht sprach, wie die Cops in Hollywood sprechen, wuchs die Eifersucht der Beamten auf diesen Kommissar. Damit kam die Wut auf ihn. Schließlich hassten sie ihn nur noch.
    Andreas Baumer stand vor seiner Wohnung auf dem Gehsteig und schaute noch immer auf seine Füße. Wie groß sie waren. Gern hätte er sie gegen eine Hakennase getauscht. Er hätte auch abstehende Ohren akzeptiert, wenn er nur diese Füße losgewesen wäre. Das Einzige, was Linderung gebracht hätte, wäre der richtige Stammbaum gewesen. Aber weil er aus einer armen Gebärmutter gekrochen war, gab es kein Zurück. Seine Füße würde er, genau wie seinen kleinen Namen, nicht mehr los. Vielleicht waren sie sogar als Entschädigung für den zu geringen Namen gedacht gewesen.
    Die graue Wand riss einen Spaltbreit auf. Licht brach durch, nur wenig heller als das Betongrau. Es war, als sähe man das Licht einer Leselampe durch ein ungewaschenes Duvet hindurch.
    Es wurde Zeit. Baumer musste los. Musste einen Fuß vor den anderen setzen. Wie Heberlein. Baumer spürte die Kälte der Nacht an seinem ganzen Körper. Es war bereits tiefer Winter. Ob wohl erneut Schnee kam? Endlich zog er seine Jacke zu. Baumer schnalzte verächtlich mit der Zunge. Es war unausweichlich. Er musste den linken Fuß vor den rechten setzen, dann den rechten vor den linken. Tat es und sagte »Gottverdammt.«

    *
    Baumer ging zu Fuß in die Innenstadt. Er brauchte diese zwanzig Minuten, die der Gang zu seinem Büro benötigte, um richtig wach zu werden. In dieser Zeit ließ er immer seine Gedanken treiben. Wenn er an einem Fall arbeitete, hatten sich die gesammelten Fakten über Nacht in seinem Hirn angeordnet, wie die Pinselstriche auf einem Bild von Monet, und man konnte ein Motiv erahnen.
    Meist verflüchtigten sich diese Bilder aber auf dem Weg von seinem Heim bis in den Spiegelhof, wo sein Büro war. Dann blieb der Fall vorerst ungelöst.
    Manchmal verdichteten sich die Bilder aber zu einer Geschichte. Mit Anfang und Ende und ohne Bruch dazwischen. Mit Personen, die alle ihre Rolle und Funktion darin hatten und die untrennbar miteinander verknüpft waren.
    Ein Film lief ab. Das Opfer trat auf und wurde ermordet. Der Unschuldige wurde verdächtigt und dann entlastet. Der Täter erschien, wand sich und wurde doch irgendwann festgenagelt. Wenn das geschah, wurde der Kommissar gelassen und unruhig zugleich. Er wusste, dass er nur noch den Namen des Täters in
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