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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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auf, und der Wagen preschte los.
    Heinzmann sagte nichts. Er konzentrierte sich ganz darauf, mit irrem Blaulicht und heulender Sirene die Straßen von Basel zu durchschneiden. Es war Meier, der zu sprechen begann. »Amokläufer am Bahnhof SBB. Eine Person tot. Samuraischwert. Täter bewaffnet. Eine Geisel. Täter bewaffnet.«
    Baumer hörte in der Stimme von Meier, dass er sehr nervös war. Auch dass er ihm die Informationen in chaotischer Reihenfolge gegeben hatte und sogar wiederholte, dass der Täter – ein Amokläufer! – bewaffnet sei, zeigte, dass Meiers Nerven kurz vor dem Zerreißen waren. Das ging in Ordnung. Meier war erst seit kurzem auf Patrouille. Er erschien jugendlicher als es seine 24 Jahre vermuten ließen. Ein Eindruck, der dadurch verstärkt wurde, dass die roten Bäckchen, die Meier ständig in seinem runden Gesicht spazieren führte, durch die Aufregung richtiggehend aufleuchteten.
    Heinzmann schien ruhig. »Mach Meldung. Wir haben Kommissar Baumer«, wies er Meier an.
    Der schnappte sich den Hörer und sprach gepresst in die Muschel. »Wagen 11 an Zentrale.«
    »Wagen 11, kommen.«
    »Kommissar Baumer ist bei uns.«
    »Gott sei Dank«, antwortete die Zentrale spontan. Dann, nach einem verschämten Räuspern: »Verstanden. Ende.«
    Heinzmann raste den Petersgraben hinauf, bog an der Lyss ab und jagte an der Musikschule vorbei. Am Fußgängerstreifen vorn beim Leonhardschulhaus sah er eine Primarschulklasse in Reih und Glied. Zuvorderst kniete eine Lehrerin, welche die Kinder mit autoritärer Stimme anschrie. »Bleibt stehen! Stehen bleiben!«
    Die Kinder froren mit weit aufgerissenen Mündern und Augen ein. Die vordersten zeigten mit ausgestrecktem Arm auf das weiße Auto mit leuchtend roten Streifen, das sie heulend anblitzte. Ein Knabe hüpfte wie eine Springmaus hoch und nieder und schrie japsend und schrill »Hoi, hoi, hoi, hoi.« So gaben sie dem Polizeiauto Spalier.
    Baumer wurde vom Schwung der Kurve auf die Seite geschleudert. Seine rechte Wange drückte an die Scheibe und er sah in die weit aufgerissenen Augen der Kinder.
    Mit brüllendem Motor jagte Heinzmann über das Heuwaage-Viadukt, weiter zum Bahnhof hinauf. Dann waren sie da. Baumer stieg aus, während Heinzmann sich das Mikro griff. »Auf Passerelle, Treppe Bahnhofplatz. Verstanden«, sprach er überlaut ins Mikrofon, sodass es seine Kameraden hörten.
    Baumer ging schon los. Mehr als zügig, aber nicht hastend. Meier überholte ihn, und seine Uniform – mehr noch seine hohe Mütze mit der funkelnden Metallplakette dran – bahnte einen Weg durch die Leute, die ihnen entgegenkamen.
    Die Leute waren verängstigt, ungläubig. Einzelne Reisende gingen weiter auf den Bahnhof zu. Wollten wahrscheinlich irgendeinen Zug erreichen. Schienen von dem Ernst der Situation noch nichts mitbekommen zu haben. Sie wurden aufgehalten von Leuten, die in aufgeregten Worten von einem Anschlag erzählten. Eine ältere Frau wisperte mit heiserer Stimme immerzu »Herrjemine, herrjemine«, während sie ihre arthritischen Hände mehrmals sachte vor ihrem faltigen Mund zusammenführte.
    Mittlerweile hatte auch Heinzmann die beiden eingeholt. Zusammen mit Meier bahnte er Baumer einen Weg.
    Die Rolltreppen, die auf die Passerelle über die Gleise führen, liefen noch. Unten standen drei Bahnangestellte, erkennbar an ihren dunkelblauen Arbeitsjacken, und eine Polizeiaspirantin mit stacheligen blonden Haaren. Sie hielten die Leute davon ab, die Treppen zu benutzen. Den drei Basler Polizisten gaben sie hingegen sofort den Weg frei und informierten noch hastig, dass oben bereits Polizisten in Zivil seien.
    Baumer trat auf die Treppe. Seine zwei uniformierten Kollegen waren bereits die Rolltreppe hinaufgelaufen.
    »Mein Gott!«, hörte Baumer Heinzmann sagen.
    »Oh ... mein ... Gott!« Das war Meier.

    *
    Baumer ließ sich von der Rolltreppe hinauffahren. Oben kamen Köpfe ins Bild. Meier hatte seine Mütze abgenommen und wischte sich nervös mit einer Hand über seine Stirn. Ohne Mütze erschien er wieder gedrungen wie ein Sizilianer. Er schaukelte von einem Fuß auf den anderen. Heinzmann stand unbeweglich daneben. Seine hohe Statur mit der Mütze obenauf erinnerte entfernt an einen Leuchtturm.
    Vor den beiden Polizisten lag ein etwa dreißig Jahre alter Mann. Er trug einen Geschäftsanzug aus dunkelblauer Seide. Sein Gesicht war so weiß wie sein Hemdkragen. Seine Lippen waren hingegen rot wie die eines Clowns. Sie sahen aus, als wären sie mit einem roten
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