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Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Titel: Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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nirgends sein. Am Morgen ließ sich Dora Gibbon bei der Oberin melden. Mrs. Silling, eine dürre Person mit magerem Gesicht und scharf vorspringender Nase, war schon seit vielen Jahren Leiterin der Erziehungsanstalt Trontham. Der Umgang mit den verdorbenen Geschöpfen, die ihrer Obhut unterstanden, hatte sie nicht gerade fröhlicher gemacht. Ernst und mißtrauisch blickte sie Dora Gibbon entgegen. Forschend schaute sie auf das junge Mädchen, das
    schon mehr erlebt und gesehen hatte als manche Frau in den besten Jahren.
    „Was wollen Sie? Haben Sie eine Beschwerde?“
    Dora Gibbon senkte das blasse Gesicht. Sie wollte nicht, daß man ihre übernächtigt brennenden Augen sah.
    „Ich kann nicht länger hier bleiben“, sagte sie tonlos. „Ich halte es einfach nicht aus. Könnten Sie nicht ein Gesuch für mich einreichen, daß ich früher entlassen . . .“ „Sie sind doch erst gekommen?“ murmelte Mrs. Silling stirnrunzelnd. „Wenn ich nicht irre, ist es gerade acht Tage her. Stimmt das?“
    Dora Gibbon nickte. „Ja, es stimmt. Für Sie sind das nur acht kurze Tage, Mrs. Silling. Aber für mich ist diese eine Woche länger gewesen als mein ganzes früheres Leben.“
    Die Oberin verkniff die Lippen zu einem dünnen Lächeln. „Natürlich“, meinte sie, „war Ihr früheres Leben . . . hm . . . bewegter und bunter. Aber es war zugleich verwerflich und lasterhaft. Deshalb sind Sie ja hier. Sie sollen sich bessern, Miß Gibbon und sollen in unserer Anstalt einen ordentlichen Beruf erlernen. Sie werden solange bleiben, bis wir von Ihrer inneren Wandlung überzeugt sind.“
    Wieder warf Mrs. Silling einen forschenden Blick auf das junge Mädchen, das kaum achtzehn Jahre alt war und doch schon so viele Häßlichkeiten und Erniedrigungen erlebt hatte. Das kindliche Gesicht war hübsch; die kleine Stupsnase und die lustigen Sommersprossen machten es nur noch reizvoller. Die blonden Haare ringelten sich zu weichen Locken, obwohl sie seit Wochen keinen Friseur mehr gesehen hatten.
    „Sie sollten froh sein, Miß Gibbon“, fuhr die Oberin fort, „daß Sie in Trontham eine neue Heimat gefunden haben. Bei uns sind Sie gut aufgehoben. Jetzt endlich brauchen Sie nicht mehr bei fremden Männern um ein Nachtquartier zu betteln.“
    Dora Gibbon wurde dunkelrot vor Verlegenheit. Aber ihre Scham hielt nicht lange an. Schon eine Minute später war ihr Gesicht wieder herb und trotzig.
    „Ich möchte trotzdem weg von hier“, brach es aus ihr hervor. „Ich kann keine Nacht mehr schlafen. Ich vergehe vor Angst. Diese ewige Furcht macht mich noch irrsinnig.“
    Mrs. Silling kräuselte spöttisch die Lippen. „Von welcher Furcht sprechen Sie, Miß Gibbon? In dieser Anstalt gibt es doch keine Gefahren für Sie. Anscheinend ist es nur Ihr Gewissen, das Sie quält.“
    „Nein“, stammelte Dora Gibbon mit brüchiger Stimme. „Nein ... es ist nicht das. Ich weiß zuviel von dem Haus am Ruskin Wall, Mrs. Silling. Ich habe dort zuviel gesehen. Ich kenne das Geheimnis, das über diesem düsteren Gebäude lastet. Ich weiß, welche Geschäfte dort getätigt werden. Ich war ja selbst dabei. Ich habe das traurige Spiel monatelang mitgemacht.“
    „Einem Mädchen von achtzehn Jahren“, sagte die Oberin geringschätzig, „vertraut wohl niemand große Geheimnisse an. Sie wollen sich nur wichtig machen, Miß Gibbon. Ihre Verlogenheit ist mir bekannt. Wundern Sie sich also nicht, daß Ihnen kein Wort glaube. Sie werden in dieser Anstalt bleiben, solange es uns angemessen erscheint. Und nun gehen Sie bitte! Ich habe Wichtigeres zu tun, als mir Ihre Lügen anzuhören.“
    Dora Gibbon zuckte verstört zusammen. Ihre Augen wurden dunkel vor Enttäuschung. Sie wollte noch etwas sagen, aber dann wandte sie sich brüsk ab und ging hastig aus dem Zimmer. Ihre Haltung blieb straff und aufrecht, bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Erst draußen auf dem Flur brach sie zusammen. Schluchzend sank sie auf einer harten Holzbank nieder. Verzweifelt vergrub sie den Kopf in den Armen. Ihre Lage erschien ihr so ausweglos, daß sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
    „Was ist denn?“ fragte plötzlich eine leise Stimme neben ihr. „Wurdest du abgewiesen? Ist es nichts mit einer vorzeitigen Entlassung?“
    Dora Gibbon hob langsam den Kopf. Ihr tränenüberströmtes Gesicht war bleich wie die Wand.
    „Du bist es, Miriam ?“ murmelte sie mit einem schweren Atemzug. „Es hat gar keinen Sinn, daß du zu ihr. hineingehst. Sie wird es dir
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