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Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet

Titel: Kommissar Morry - Der Henker kam zu spaet
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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genauso machen wie mir. Sie ist heute wieder einmal in übelster Stimmung.“
    Miriam Davis schaute beklommen auf die Tür, hinter der sich das Dienstzimmer der Oberin befand. „Ich habe nur noch vier Wochen abzusitzen“, sagte sie scheu. „Vielleicht läßt sich Mrs. Silling doch erweichen. Wenn ich ihr ein rührendes Märchen erzähle, wird sie vielleicht . . .“
    „Nein“, sagte Dora Gibbon herab. „Sie wird dich um kein Haar besser behandeln als mich. Sie ist wie eine vertrocknete Mumie, in der längst kein Herz mehr schlägt.“
    „Was dann?“ fragte Miriam Davis ratlos. „Ich kann hier keine vier Wochen mehr bleiben. Ich halte es keine acht Tage mehr aus. Was sollen wir denn tun?“
    Sie wirkte rührend in ihrer Not und Hilflosigkeit. Das blasse Gesicht mit den großen dunklen Augen und dem weich geschwungenen Mund hätte viel besser in ein Luxuscafe als in eine Erziehungsanstalt gepaßt. Der schlanke, straffe Körper schien allein dafür geschaffen von zärtlichen Männerhänden verwöhnt und umschmeichelt zu werden.
    „Komm mit!“ raunte Dora Gibbon nach kurzem Überlegen. „Wenn du Mut hast, weiß ich vielleicht einen Ausweg.“
    Sie blickte forschend durch den langen Korridor. Aus den Handwerksstuben klang das Rattern der Nähmaschinen und Bügelpressen. Dann und wann huschte ein verschüchtertes Mädchen über den Flur. Zwei Aufseherinnen kamen plaudernd die Treppe herauf. Ihre Blicke wanderten streng und forschend über die vielen Türen.
    „Wir gehen in die Waschküche“, entschied Dora Gibbon kurz. „Dort machen sie jetzt gerade Pause. Wir sind dann ungestört.“
    Im Keller des weitläufigen Gebäudes empfing sie feuchter, klebriger Dunst. Es roch nach schmutziger Wäsche und scharfer Seifenlauge. Aus den Waschkesseln stiegen heiße Dampfwolken auf. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Dora Gibbon beugte sich ganz nahe zu Miriam Davis hin. „Ich werde bei Mrs. Silling kein zweites Mal um Gnade betteln“, raunte sie hastig. „Ich gehe ohne ihre Erlaubnis. Ich werde noch heute nacht aus dieser abscheulichen Anstalt verschwinden. Machst du mit?“ Miriam Davis zögerte.
    „Sie wird sofort die Polizei hinter uns her hetzen“, meinte sie unschlüssig. „Man wird uns wieder einfangen. Man wird uns in den Arrest sperren und wochenlang demütigen. Ich bin . . .“
    „Unsinn!“ zischte Dora Gibbon erregt. „Noch ehe man unser Verschwinden bemerkt, werden wir in London sein. Dort soll man uns erst einmal suchen. Du hast doch früher in einer Bar gearbeitet? Na also! Dann wirst du doch rasch wieder eine Stellung finden. Du brauchst den Leuten ja nicht auf die Nase zu binden, woher du kommst.“
    Miriam Davis starrte geistesabwesend in den wogenden Dunst. Sie fröstelte trotz der feuchten Hitze. Angst und Unruhe schnürten ihr die Kehle zu. „Gut“, sagte sie nach einer langen Pause. „Ich verlasse mich auf dich. Wann wollen wir weg?“
    „Heute Nacht um elf Uhr“, flüsterte Dora Gibbon. „Um diese Stunde schlafen sie alle. Niemand darf unser Weggehen bemerken, hörst du? Zieh dich draußen im Waschraum um. Ich erwarte dich im Anstaltsgarten.“
    Das Gespräch war beendet. Niemand hatte sie belauscht. Keine Aufseherin war ihnen in die Quere gekommen. Ihr Unternehmen schien unter einem guten Stern 2u stehen.
    Der Tag verging wie jeder andere. Nach dem Abendessen zog sich Dora Gibbon in den Schlafsaal zurück und stichelte mit nervösen Händen an einer weißen Bluse herum. Sie war nicht bei der Sache. Ihre Gedanken irrten immer wieder ab. Wir werden einen Wagen anhalten, überlegte sie. Zwei junge Mädchen nimmt jeder Fahrer mit. Sobald wir in London sind, werde ich das Haus am Ruskin Wall aufsuchen. Man darf nicht vor den Gefahren fliehen. Man muß ihnen mutig entgegentreten. Als eine schrille Glocke die Schlafenszeit verkündete, zog sich Dora Gibbon aus und legte sich auf das harte Lager nieder. Sie hatte kaum einen Blick für die anderen Mädchen, die links und rechts neben ihr in ihre Betten krochen. Sie war mit ihren Gedanken schon weit entfernt. Pünktlich um zehn Uhr kam die Nachtaufseherin in den Saal. Sie ging langsam von Bett zu Bett. Gewissenhaft notierte sie die Zahl der Insassen. Es fehlte niemand.
    „Licht aus!“ sagte sie dann mit schroffer Stimme. „Ich bitte um absolute Ruhe! Gute Nacht!“
    Die Lampen erloschen. Dora Gibbon starrte ungeduldig zu den schwarzen Fenstern hin. Noch eine Stunde, dachte sie. Noch sechzig Minuten. Dann liegt dieser häßliche
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