Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komm wieder zurück: Roman

Komm wieder zurück: Roman

Titel: Komm wieder zurück: Roman
Autoren: Deborah Reed
Vom Netzwerk:
wäre. Und doch denkt sie aus irgendeinem Grund an das Schleierlicht. Owen kann nicht wissen, dass es wieder da ist. Zu dieser Jahreszeit schimmert es durch tief hängende Morgenwolken und dämpft das Orangerot des Hains, die Reihen von jungem Mais, Annies matschige Auffahrt, die frisch gestrichenen weißen Säulen der Veranda, so weiß wie die Eiskremsorte Dove White. Alles verwandelt sich in das gefilterte Porträt eines Orts. Es ist nicht länger nur der Ort selbst.
    Du hättest Malerin werden können, Schatz. Du bist eine tolle Songwriterin, aber aus dir hätte eine Malerin werden können, so wie du die Welt wahrnimmst.
    »Er hat sie
geheiratet
, Annie. Es ist jetzt vorbei. Hör mir zu. Es ist vorbei.«

VIER
    »Es tut mir leid, dass ich Sie um Hilfe bitten musste«, sagt Mrs Lanie. »Und der halbe Tag ist schon um.«
    Annie knöpft sich auf Mrs Lanies Veranda die Jacke zu.
    »Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun können«, fährt sie fort. »Die Pflücker können erst in zwei Tagen kommen. Die waren erst eine Woche später eingeplant.«
    »Kein Problem«, beruhigt Annie sie und zieht sich die Lederhandschuhe über. »Ich war schon auf dem Weg hierher, bevor Sie angerufen haben.«
    »Glauben Sie, wir können die Heizstrahler einsetzen?«, fragt Mrs Lanie. »Ich habe sie jahrelang nicht gebraucht.«
    »So oder so können die Früchte nicht an den Bäumen bleiben. Sie sind schon reif«, sagt Annie, während sie ihre steifen Handschuhe zu Fäusten ballt und im Geist die Stimme ihrer Mutter hört:
Was hast du denn mit deinen Händen gemacht? Wann hast du zum letzten Mal die Gitarre in die Hand genommen?
    Niemand ahnt, dass Annie Monate damit zugebracht hat, fast alles in ihrem Haus abzuschleifen. Die Zimmer riechen nach Vaters alter Werkstatt, vermischt mit Harz, Zellstoff, süßem und bitterem Staub. Der Kiefernschrank in ihrem Schlafzimmer mit dem Stempel »Made in Mexico« auf der Rückwand war gekalkt,als sie ihn mit Owen auf dem Flohmarkt kaufte, und er stand da mit Wintersachen und Decken, jahrelang quasi unsichtbar. Doch nachdem Owen sie verlassen hatte, konnte sie nicht mehr ertragen, wie die Abendsonne die dunkleren Farbstreifen aufleuchten ließ, die wie Fettbänder in einem Stück Fleisch die tieferen Ritzen durchzogen. Sie verspürte den unwiderstehlichen Drang, den Speck abzuziehen.
    Es kostete sie wochenlange Schleifarbeit von grober zu feiner Körnung, bis die letzten Farbspuren abgeschmirgelt waren und das Holz wieder eine helle, samtige Oberfläche hatte. Doch damit nicht genug. Während die Tage vergingen, irritierte es Annie zunehmend, wenn das Licht im Haus ganz hell brannte und die messingfarbene Patina auf dem Buffet zum Vorschein brachte. Dann wurden die Mahagonitruhe im Windfang, die Beistelltische, das Kopfende am Bett im Gästezimmer zum Problem. Am allerproblematischsten aber war das Kaminsims mit der handgeschnitzten Ornamentik, der von Schnörkeln gerahmten Amphore, den Rillen und ovalen Rosetten in den Ecken, auf dem Owen seine Nachricht hinterlegt hatte. Sie musste den Flecken mit einer chemischen Lösung wegätzen und die winzigen feinen Rillen mit der Zahnbürste sauber schrubben, die Owen zurückgelassen hatte. Sie kratzte und schrubbte, bis ihre rechte Schulter schmerzte, und dennoch musste sie am nächsten Tag um vier Uhr morgens aufstehen und von vorn anfangen. Monatelang lebte sie mit staubigen Fuß- und Pfotenabdrücken im ganzen Haus. An ihrem Geburtstag war sie endlich mit dem gesamten Mobiliar fertig und wischte alle Oberflächen sauber. Das einzige unberührte Holz ist das der Instrumente. Gitarre, Dulcimer, Bongos in der Ecke, Tamburin auf dem Kamin und eine Geige, die zu spielen sie gerade zu lernen begonnen hatte.
    »Ich habe sowieso keinen Brennstoff dafür«, sagt Mrs Lanie.
    »Wofür?«
    »Für die Heizstrahler.«
    »Ach so.«
    »Das ist eine Menge Arbeit«, sagt Mrs Lanie.
    »Ich mache das gern«, entgegnet Annie.
    Mrs Lanie zieht die Schlüssel von dem alten Ford Pick-up ihres verstorbenen Mannes von einem winzigen Haken neben der Tür. Sie drückt sie Annie in die Hand. Hinter ihr dudelt der Fernseher im Wohnzimmer die Erkennungsmelodie der Lokalnachrichten. Annie bemerkt Mrs Lanies wissenden Blick und ist sich sicher, dass diese auch schon das Polizeifoto auf der Titelseite der Zeitung gesehen hat, die Annies Mutter auf der Veranda liegen gelassen hat.
    »Ich hab gesehen, dass Ihre Mutter vorhin hier war«, sagt Mrs Lanie.
    »Haben Sie genug Konserven da?«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher