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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod
Autoren: Wolf Haas
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Sprich Absicht. Ich persönlich kann es mir nicht vorstellen, und man darf heute beileibe nicht alles glauben, was in der Zeitung steht.
    Aber der Junior natürlich immer auf die Öffentlichkeit bedacht. Und ist auch gut so, weil ohne Spenden kannst du zusperren. Blutspenden, Organspenden, Geldspenden, alles.
    Jetzt hat er das s für den Funkcode erfunden. Und ich muß sagen, großartige Erfindung. In hundert Jahren wird man vom Junior vielleicht nichts mehr wissen, nur noch, daß er das s erfunden hat. Weil seither sind die Fahrer viel weniger aggressiv, wenn sie einen Sandler fahren müssen.
    Deshalb hat der Schimpl jetzt schon bei der Anfahrt sein Thema gehabt, weil er eben vom s her gewußt hat, wen sie da antreffen werden. "Dabei werde ich dir einmal was sagen: Gib so einem Obdachlosen ein Obdach, und er zündet dir schon am ersten Tag die Hütte an. Und wieso? Weil er es nicht aushält unter einem Obdach. Da soll keiner zu mir kommen und von den armen Obdachlosen reden. Weil früher hat man Sandler gesagt. Und das ist immer noch der bessere Ausdruck, wenn du mich fragst. Weil der Sandler will im Sand schlafen. Und Obdach will er nicht wirklich. Also warum soll ich nicht Sandler sagen?"
    "Kannst eh ruhig Sandler sagen."
    "Sag ich auch."
    Der Brenner hat einen Moment gehofft, daß er ihm mit seinem grantigen Kommentar die Energie abgedreht hat. Aber nicht beim Schimpl: "Und noch was sag ich. Weil so weit kommen wir noch, daß ein Mensch heute nicht mehr sagen darf, was er denkt."
    "Du sagst es eh immer."
    "Ich sag es immer." Der Schimpl hat geglaubt, das ist ein Kompliment gewesen, und um so eifriger hat er weitergeredet.
    Er hat dem Brenner erklärt, daß es verschiedene Typen von Sandlern gibt. Als hätte der Brenner das nicht selber gewußt.
    Als hätte der Brenner nicht selber jeden Tag ein paar Sandler von der Straße aufklauben müssen. Aber der Schimpl hat sie ganz genau unterschieden wie ein Schmetterlingssammler. Je nach Ursache: ungünstige Familie, ungünstige Scheidung, ungünstiger Charakter, ungünstiger Zufall.
    Der Brenner ist dann richtig froh gewesen, wie er den Franz-Josefs-Bahnhof vor sich gesehen hat. Vor lauter Erleichterung ist er bei der letzten Kreuzung auf einmal trotz s bei Rot drübergefahren. Wie diese verwirrten Autofahrer, die es verschlafen, wenn die Ampel auf Grün springt, und erst bei Rot losfahren.
    "S!" hat der Schimpl hysterisch gerufen, weil der hat sich sein Leben so vernünftig eingeteilt, daß er überhaupt kein Verständnis dafür gehabt hat, daß ihn der Brenner womöglich unter einen LKW chauffiert. Und dann Gehirnlappenquetschung und dann enthemmt und dann Sexwahn und dann schuldig geschieden und dann Sandler. Haben wir alles schon gehabt!
    Aber Gott sei Dank ist jetzt keine Zeit mehr gewesen, um das zu diskutieren.
    Weil der Bahnhofsvorstand hat ihnen schon gedeutet. Ein alter Eisenbahner mit Zähnen wie dieser französische Schauspieler. Sonst kannst du mich ja mit französischen Filmen jagen, wo oft zehn Minuten nichts geredet wird. Aber der war gut, der immer den Don Camillo gespielt hat, und wenn er gelacht hat: Zähne wie ein Pferd.
    Aber der Bahnhofsvorstand hat nicht gelacht, sondern ziemlich überrascht gefragt: "Was tut denn ihr da?"
    "Wir sind angerufen worden von der Gepäckaufbewahrung. Ihr habt schon wieder einen Sandler im Schließfach."
    "Nicht von der Gepäckaufbewahrung. Ich habe selber angerufen, vor einer Viertelstunde schon! Das passiert jetzt bald jeden Tag, daß die Lausbuben einen Sandler in ein Schließfach einsperren."
    "Einsperren! Daß ich nicht lache", hat der Schimpl protestiert. "Die legen sich doch selber in die Schließfächer. Das ist ein billiger Schlafplatz für die."
    "Aber zusperren tun sie nicht selber", hat der Eisenbahner dem Schimpl das Wort abgeschnitten.
    "In manchen Ländern gibt es schon gar keine Schließfächer mehr wegen der Bombengefahr", hat es der Schimpl immer noch besser gewußt. "Und bei uns wird es auch bald keine mehr geben, weil jedes Schließfach zu einem Hotelzimmer für einen Herrn Obdachlosen umgebaut wird."
    Jetzt ist es dem Brenner langsam peinlich geworden, und er hat zu dem Eisenbahner mit den Don-Camillo-Zähnen gesagt: "Das ist den Rotzbuben die 20 Schilling wert, daß so ein armer Schlucker stundenlang Todesangst hat."
    "Meistens hört ihn einer von meinen Männern klopfen und läßt ihn gleich wieder heraus. Dann ist es nicht so schlimm.
    Aber der heute ist halb tot gewesen. Der hat sich vor Angst
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