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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod
Autoren: Wolf Haas
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Neubeginn.
    Vorübergehend hat der Freiwilligenchef das Kommando übernommen, ein pensionierter Stadtrat. Ein höflicher Mensch, der den Brenner sogar in der Untersuchungshaft besucht hat.
    Der Brenner ist noch eine halbe Stunde im feuchten Gras liegengeblieben und hat zugeschaut, wie die Müllfahrzeuge und die Müllmänner die Insel mir nichts, dir nichts saubergemacht haben. Auf den Feldern haben sich vereinzelte Alkoholleichen erhoben und langsam auf den Heimweg gemacht, irgendwie ein ergreifender Anblick, fast wie die Flamingos in einem Tierparadies.
    Der Freiwilligenchef hat dem Brenner eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses vorgeschlagen, und der Brenner hat sofort eingewilligt. Noch drei Monate Gehalt, ohne zu arbeiten, das ist nicht schlecht. Und in drei Monaten findet sich schon was. Außerdem Sommer, ideale Zeit für Arbeitslosigkeit.
    Der Freiwilligenchef hat ihn nur gebeten, daß er nicht mehr in seine Dienstwohnung kommt. Weil jetzt für die Moral der Mannschaft wichtig, daß so schnell wie möglich Gras über die Sache wächst. Der Freiwilligenchef hat versprochen, daß er die paar Habseligkeiten vom Brenner bei einer Spedition lagert, alles auf Kreuzrettungskosten. Und für ihn hat er ein Zimmer im Hotel Adlon im zweiten Bezirk reserviert.
    Dort ist der Brenner um halb zehn angekommen. Alles zu Fuß gegangen, bestimmt zehn Kilometer. Und zwischendurch ein Bier am Mexikoplatz. Der Hotelportier hat ihm ein Kuvert gegeben, in dem der Brenner 50000 Schilling gefunden hat. Und schönen Dank vom Lanz und der Angelika.
    Du darfst nicht vergessen, daß der Lanz durch die Aktion seine ganzen Spielschulden losgeworden ist. Der Junior hat das Geld, das er dem Lanz bezahlt hat, nicht mehr zurückfordern können. Da hat der Brenner die 50000 Schilling mit gutem Gewissen eingesteckt.
    Er hat sich aufs Bett gelegt, aber natürlich große Enttäuschung. Weil ein muffiges Hotelzimmer kein Vergleich zum taufrischen Gras auf der Insel. Am liebsten wäre er gleich wieder aufgestanden und auf die Insel gefahren. Aber er war einfach zu müde, und außerdem: Man kann ein schönes Erlebnis sowieso nicht wiederholen.
    Man kann überhaupt nichts wiederholen, hat sich der Brenner gesagt. Und ich werde die Klara heute nicht anrufen, hat er sich gesagt. Und morgen auch nicht. Du sollst nicht grübeln.
    Wie er die Augen zugemacht hat, hat er wieder die Flotte der orangen Müllfahrzeuge und die orange leuchtenden Müllmänner gesehen, die den ganzen Mist einfach weggezaubert haben.
    Und dieses Misterlebnis und das unglaubliche Musikerlebnis vom Freitag sind ihm im Einschlafen für einen Moment wie ein und dasselbe Erlebnis vorgekommen. Und ihm ist eingefallen, daß es immer heißt, beim Sterben hätte der Mensch die wunderbarsten Musikerlebnisse. Aber er hat bezweifelt, daß der Junior, wie sein Kopf durch die Trennscheibe vom 590er hereingeflogen ist, auch so ein wunderbares Musikerlebnis gehabt hat wie er.
    Beim Überleben hat man die wunderbarsten Musikerlebnisse, nicht beim Sterben, hat sich der Brenner im Einschlafen gesagt.
    Ein guter Gedanke, hat er noch gedacht. Beim Überleben, nicht beim Sterben. Diesen Satz muß ich mir merken. Aber wie er am Abend aufgewacht ist, war er schon froh, daß er seinen Namen noch gewußt hat.
     
     

Impressum
    ISBN 3499228149
© 1998 by Rowohlt Taschenbuch Verlag
Umschlaggestaltung Notburga Stelzer
Illustration: Jürgen Mick
     
    ebook Erstellung - Juni 2010 - TUX
     
    Ende
     
    Fuchs
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