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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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der neben Kokoschkin saß und im Daily Programme des Schiffes las, sagte leise: «Haben Sie das gesehen? Tagesaktivitäten morgens und mittags. Zum Beispiel Erneuerung des Eheversprechens in Sir Samuels Wine Bar. Champagner Kunstauktion im Winter Garden. Casino Seminar im Empire Casino. Oder mittags:Cha Cha Tanzunterricht im Queens Room. Kunstunterricht mit fünfunddreißig Dollar Materialgebühren. H.   Stern Schmuckgespräch mit dem Manager. – Das entspricht offenbar dem durchschnittlichen Geschmack der Passagiere.»
    «Sicher», sagte Kokoschkin. «Es gibt aber auch Vorträge von Oxford-Lektoren. Zum Beispiel ‹Die Dynamik des modernen Lebens›.»
     
    Auf dem Weg zum Winter Garden Café traf Kokoschkin Frank und Lucy.
    «Wir gehen zur Champagner Kunstauktion im Winter Garden», sagte Lucy. «Kommen Sie doch mit.»
    «Ach, wissen Sie», sagte Kokoschkin.
    Frank sagte: «Die Auktion fängt um elf Uhr an. Bis dahin könnten wir noch etwas trinken.»
    «Gut.»
    Sie setzten sich an einen kleinen runden Tisch auf der rechten Fensterseite. Das Wandbild mit exotischen Vögeln auf den Ästen einer Art Palme. Der weiße Flügel in der Mitte des Cafés.
    Kokoschkin bestellte Espresso, Frank bestellte zwei Orangensäfte.
    «Wollen Sie etwas kaufen?» fragte Kokoschkin.
    «Vielleicht einen seltenen bunten Stein für unseren Kaminsims», sagte Frank.
    Lucy sagte: «Haben Sie Kinder, Herr Kokoschkin?»
    «Nein.»
    «Seien Sie froh. Die Sorgen nehmen kein Ende. UnsereTochter hat einen Anwalt geheiratet. Sie haben eine süße Tochter, unsere einzige Enkelin. Unsere Tochter hat sich von ihrem Mann getrennt. Geschieden. Das Sorgerecht haben beide Eltern. Das ist der Anfang der Tragödie.»
    «Tragödie?»
    «Das Kind verbringt die halbe Woche bei der Mutter, die andere Hälfte beim Vater. Wie soll es denn da ein Gefühl dafür bekommen, wo es hingehört? Wir glauben, das Kind gehört zur Mutter. Der Vater soll es natürlich von Zeit zu Zeit sehen, aber doch nicht die Hälfte der Zeit!»
    «Das kann ich nicht beurteilen.»
    «Unsere Tochter hat einen neuen Partner, der das Kind sehr liebt. Wenn das Kind bei seinem Vater ist, dann trifft es auf die neue Frau des Vaters, die einen Jungen im Alter unserer Enkelin mitgebracht hat. Unsere Enkelin bekommt von ihrem Vater teure Spielsachen und Kleider gekauft. Sie kriegt die Kleider nicht mit nach Hause zu ihrer Mutter. Spielsachen darf sie auch nicht mitnehmen. Zuletzt hat die Kleine gesagt, daß sie lieber beim Vater ist, weil sie dort mit dem Jungen spielen kann.»
    «Ich erkenne daran nichts Ungewöhnliches», sagte Kokoschkin.
    Lucy sagte: «Sie haben eben keine Kinder.»
    Die Kunstauktion begann.
    Frank und Lucy gingen zur anderen Seite des Winter Garden Cafés.
     
    Kokoschkin wollte zu den Konferenzräumen ConneXions auf Deck 2.   Er ging dort in einen der Computer-Räume und schrieb eine Mail an seinen Nachbarn in Boston, der seine Wohnung betreute: Er gehe am 14.   September morgens in New York von Bord und fliege mittags nach Boston.
     
    Beim Lunch sagte Oakley: «Haben Sie das gehört? Der Russe und der Deutsche wollen eine Gas-Pipeline bauen durch das Baltische Meer von Rußland nach Deutschland.»
    Lucy fragte: «Wen meinen Sie?»
    «Pjutn und Schroder.»
    «Putin und Schröder», sagte Kokoschkin.
    «Meinetwegen», sagte Oakley.
    Frank sagte: «Aber warum durch das Baltische Meer. Durch Polen wäre es kürzer und billiger. Und besser für die Natur.»
    «Der Pole soll nicht an das Gas herankommen», sagte Oakley.
    «Das ist unfair», sagte Frank. «Außerdem: Wer weiß, was der Bau anrichtet im Baltischen Meer. Auf dem Meeresgrund liegt noch Munition aus dem Weltkrieg.»
    Sachnowski sagte: «Putin hat sich ein Kreuz um den Hals gehängt und läßt sich segnen.»
    «Segnen?» fragte Lucy.
    «Er ist mit seiner Privatyacht nach Athos gedampft zu den orthodoxen Mönchen. Pilger Putin.»
    Olga Noborra blieb ihrem Vormittagsprogramm treuund bestellte nur Canyon Ranch Spa Selections: Als Appetizer Roasted Corn Chowder, als Entrée Baked Kohlrabi Tart und als Dessert Freshly Sliced Cantaloupe Melon.
    Kokoschkin wollte Olga diesmal nicht folgen. Er wählte als Appetizer Chilled Tomato Soup mit Gin und Basil, als Entrée Grilled Swordfish Steak, Lemon und Oregano Oil, Niçoise Olive Relish, als Dessert Panna Cotta mit Apricot Compote.
    «Tüchtig, tüchtig», sagte Lucy.
    Kokoschkin erwiderte: «Zum Dinner esse ich dafür wenig.»
    Lucy sagte: «Wir gehen heute abend ins Royal
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