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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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spiele.
    Die Geigerin war nicht ganz so hübsch wie Vanessa Mae. Sie spielte durchaus virtuos klassische Titel in verdaulichem Format.
    Kokoschkin beugte sich zu Olga und flüsterte: «Ich hasse elektronische Kuschelklassik.»
    «Mir geht es wie Ihnen.»
    «Sollen wir gehen?»
    «Neinnein. Sie trifft den Geschmack des Publikums. Warum das Publikum kränken.»
     
    Nach der Show schlug Olga vor, noch eine Kleinigkeit zu essen. Um diese Zeit kam nur Kings Court   – La Piazza, Deck 7 , in Frage, wo ab 23   :   00   Uhr Snacks zu haben waren.
    Aber im Kings Court überlegte sie es sich anders. Sie sagte: «Ich danke Ihnen für den Abend» und verabschiedete sich.
     
     
    Boston, 15.   August 2005
     
    Lieber Dr.   Hlaváček,
    ich will noch einmal nach Europa kommen, ich will sogar nach Rußland reisen, nach Petersburg, wo ich geboren bin. Allein traue ich mir aber die Reise nach Petersburg nicht zu. Deshalb bitte ich Sie, mich zu begleiten, natürlich auf meine Kosten. Sie kennen die Russen, mit Ihnen könnte ich die Reise unternehmen.
    Schreiben Sie mir bitte, ob ich mit Ihnen rechnen darf und wann Sie Zeit haben.
    Ihr alter Fjodor Kokoschkin.
     
     
    Praha, 15.   August 2005
     
    Lieber Professor Kokoschkin,
    ich freue mich darüber, daß Sie nach Europa kommen wollen. Auf der Reise nach Petersburg begleite ich Sie gerne. Ich bin nicht mehr in der Universitätsbibliothek tätig. Jetzt nenne ich mich Pensionist. Ich habe Zeit.
    Ihr Jakub Hlaváček.
     
     
    Boston, 15.   August 2005
     
    Lieber Herr Dr.   Hlaváček,
    der E-mail-Briefverkehr ist ein Segen. Ich bin sehr froh darüber, daß Sie mit nach Petersburg gehen können.
    Ich habe online ein Flugticket für den 20.   August nach Prag gebucht und für drei Nächte ein Zimmer im Grand Hotel Evropa am Václavské náměstí. So haben wir genug Zeit, um in Prag Flugtickets nach Petersburg und Hotelzimmer dortselbst zu buchen.
    Das Grand Hotel Evropa wirbt im Internet mit dem Satz: «Hotel Evropa ist geeignet für junge Leute, die im Zentrum sein möchten, aber deren Ansprüche nicht so hoch sind.» Ich brauche das Wort «junge» nur durch «alte» zu ersetzen.
    Sobald ich in Prag angekommen bin und mich im Hotel eingerichtet habe, rufe ich Sie an.
    Ihr dankbarer Fjodor Kokoschkin.
     
     
    Praha, 16.   August 2005
     
    Lieber Professor Kokoschkin,
    wir können uns bei mir treffen, oder ich komme ins Hotel.
    Einen guten Flug wünscht Ihnen
    Ihr Jakub Hlaváček.
     
    Am 20.   August landete Kokoschkin in Prag.
    Nach 30   Minuten Taxifahrt für 600   Kronen vom Flughafen zum Hotel Evropa richtete Kokoschkin sich in seinem Zimmer ein. Es war später Nachmittag, als er Hlaváček anrief: «Ich komme zu Ihnen!»
    «Sehr schön», sagte Hlaváček. «Nehmen Sie ein Taxi. Ich wohne noch immer in der Budečská, gleich neben dem Hotel Anna.»
     
    Kokoschkin sagte zu Hlaváček: «Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen!»
    «So geht es mir mit Ihnen!»
    «Sie haben sich verändert.»
    «Wer nicht. In all den Jahren.»
    Kokoschkin sah sich um. «Bücher über Bücher.»
    «Nicht nur hier im Arbeitszimmer. Auch in der Diele, wie Sie gesehen haben. Und im Wohnzimmer, im Schlafzimmer, und sogar in der Küche. Bücher waren mein Beruf, und Bücher sind mein Laster.»
    «Sie haben sich nicht verändert.»
    «Möchten Sie Kaffee oder Tee   …»
    «Ein Pilsener, bitte. Nach all den Jahren.
    Ich weiß nicht, lieber Hlaváček, ob Sie verstanden haben, daß ich in meinen Briefen, die ich ab Achtundsechzig dank der Vermittlung unserer Prager Botschaft an Sie geschickt habe, nie über persönliche Dinge sprach. Ich war sicher, daß die Briefe in der Botschaft gelesen werden, und ich dachte: Wen gehen die privaten Dinge etwas an?»
    «So habe auch ich gedacht», sagte Hlaváček. «Deswegen habe ich Ihnen nicht geschrieben, daß sich Branka Neunzehnhundertsiebzig von mir getrennt hat. ‹Du immer nur mit deinen Büchern. Ich will auch noch mal was anderes sehen›, hat sie gesagt. Sie ist zu dem Arzt gegangen, für den sie als Sprechstundenhilfe gearbeitet hat. Der wohnte in einer größeren Wohnung. Der besaß ein Auto, einen Škoda Octavia. Der hatte eine Datsche in Südböhmen. Mit dem ist sie jeden Sommer ans Schwarze Meer gefahren, nach Nessebar in Bulgarien. Drei Jahre sind wir verheiratet gewesen. Ich bin allein geblieben, hatte nur noch Freundinnen.»
    «Achtundsechzig habe ich Ihnen gesagt, daß meine Frau gerne mit nach Prag gekommen wäre, daß sie aber
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