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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Ice Cream, Vanilla Frozen Yoghurt, Peach Sauce. Da sagte Kokoschkin unvermittelt, das wolle er auch.
    Nach dem Dessert verabschiedeten sich als erste Frankund Lucy. Lucy sagte in die Runde: «Stellen Sie Ihre Uhren sechzig Minuten zurück, bevor Sie schlafen gehen. Jede Nacht, bis wir in New York sind.»
    Oakley sagte zu Kokoschkin: «Wir sehen uns morgen», und stand auf.
    Sachnowski folgte ihm.
    Kokoschkin hoffte, Frau Noborra werde noch bleiben. Aber sie ging. Kokoschkin blieb noch einige Minuten sitzen.
     
    Im Chart Room setzte er sich nicht an einen Clubtisch, er stellte sich an die Bar. Neben ihm ein Mann, den er erkannte. Es war der junge Mann, der sich im Bus von Heathrow nach Southampton Notizen gemacht hatte. Kokoschkin bestellte ein Bier und hörte dem Jazz Trio zu: Piano, Kontrabaß, Drums. Obwohl das Trio ihm gefiel, blieb er nicht lange.
    Mit dem Aufzug fuhr er bis zum Promenadendeck und ging an die Reling. Auf See kein einziges Licht. Die Luft mild, 18° Celsius.
    Bevor er schlafen ging, stellte er seine Uhr um eine Stunde zurück.

ERSTER TAG AUF SEE
    9.   September 2005
     
    Kokoschkin verspürte keine Lust, zum Frühstück ins Britannia Restaurant zu gehen. Er ging ins Kings Court, Deck 7, suchte sich an den Büfetts sein Frühstück zusammen und setzte sich an einen kleinen Tisch, mit Blick auf die See. Er konnte an einem der Büfetts Frau Noborra sehen. Sie trug einen sportlichen Hosenanzug, ihr Haar hatte sie hochgesteckt.
    Kokoschkin ging zu ihr, sagte: «Guten Morgen. Kommen Sie doch an meinen Tisch.»
    «O.   K.» Sie nahm nur Orangensaft, Früchtesalat und Kaffee.
    Kokoschkin sagte: «Tun Sie mir den Gefallen, nennen Sie mich Fjodor.»
    «Fjodor? O.   K. Ich heiße Olga.»
    «Was tun Sie in Chicago?»
    «Sie sind sehr direkt. Ich bin Architektin im Büro meines Mannes.»
    «Und woran arbeiten Sie als Architektin?»
    «An einer verrückten Sache. Begrünte Dächer.»
    «Nicht verrückt. Mich interessiert das sehr.»
    «Was war Ihr   … was tun Sie?»
    «Ich war   … bin Botaniker. Spezialgebiet Gräser und Halme.»
    «Nein!»
    «Ja! Ich habe ein Buch über Gräser geschrieben. Und ich habe mit Architekten zusammengearbeitet.»
    «Sie überraschen mich, Fjodor.»
    «Es ging meist um intensive Begrünung.»
    «Das ist unsere Sache. Ich habe mich zwar auch mit Dächern für extensive Begrünung beschäftigt, aber Hallen- und Garagendächer sind für uns nicht interessant. Unsere Kunden wollen intensiv begrünte Dächer. Wir sind mit der Auswahl der Gräser nicht zufrieden.»
    «Ich könnte Sie wahrscheinlich beraten, Olga. Natürlich umsonst.»
    «Ich bespreche das mit meinem Mann. Kommen Sie denn gelegentlich nach Chicago?»
    «O ja.»
    «Fjodor, im Vertrauen. Ihre Reise nach Rußland und Europa. Nostalgie?»
    «Nein. Ich mußte manche Orte meiner Vergangenheit einfach noch einmal sehen. Petersburg, Berlin, Prag. Nach Prag kam ich Dreiunddreißig, ein zweites Mal Achtundsechzig, im Prager Frühling.»
    «Ich verstehe.» Olga stand auf. «Sehen wir uns beim Lunch im Britannia?»
    «Ja.»
     
    Das Schiff zu erkunden, machte Kokoschkin sich auf den Weg zur Bibliothek, der größten Bücherei auf See. Vom Kings Court Restaurant in der Schiffsmitte zur Bibliothek unterhalb der Kommandobrücke quer durch dashalbe Schiff. In Gängen, her und hin, auf Treppen hinauf, hinab, unzählige Leute wie auf Wegen einer Stadt.
    Die abgeschrägten vorderen Fenster der Bibliothek mit Blick auf den Bug, den Horizont. Zwischen den vorderen Fenstern Lesesessel. Kleine runde Lesetische, Sessel zwischen den offenen Edelholz-Bücherschränken. Auf der rechten Seite des halbrunden Raums sechs Computer.
    Kokoschkin verspürte Lust, sich an einen Computer zu setzen und eine Mail an Jakub Hlaváček zu schreiben. Aber was hätte er schon schreiben sollen. Vielleicht, daß Sturm herrsche? Daß an den Treppenaufgängen und neben den Türen der Aufzüge Spucktüten zu haben seien? Daß das Schiff, unbeeindruckt von der stürmischen See, ruhig seine Fahrt mache? Wahrscheinlich aber hatte Hlaváček gehört, daß bei rauher See automatisch vier Stabilisatoren ausgefahren und an die Strömung angepaßt werden, um das Rollen des Schiffes zu verhindern. Interessanter für Hlaváček wäre es vielleicht gewesen, daß in der Bibliothek auf See aktuelle Tageszeitungen in handlichem Format zu lesen seien, die offenbar an das Schiff gefunkt würden und an Bord gedruckt worden wären. Kokoschkin wußte es nicht genauer.
    Der Mann,
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