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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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sind schon verzehrt.»
    «Ich wollte einer Begrüßungszeremonie mit dem Master ausweichen.»
    «Es gab keine. Zum Glück. Man müßte lange in der Schlange stehen. Das kommt vielleicht morgen.»
    «Außerdem esse ich wenig. Die Vorspeise hätte ich ohnehin ausgelassen.»
    Lucy sagte: «Ich hatte ein bißchen Avocado und Tomato in Pico di Gallo.»
    Der Ober fragte Kokoschkin, was er zu trinken wünsche.
    «Mineralwasser, nur Mineralwasser, bitte. Und als Entrée Waldpilze, Polenta und Spinat.»
    Zu seiner Nachbarin sagte Kokoschkin: «Ich glaube, Noborra ist ein baltischer Name.»
    «Ich bin Deutsche. Vielleicht kommen meine Vorfahren aus dem Baltikum.»
    «Bestimmt.»
    «Das glaube ich auch», sagte Sachnowski.
    Zu Oakley sagte Kokoschkin: «Ich freue mich auf Boston. Ich sehne mich richtig danach, vor allem nach unserem Beacon Hill.»
    «Sie waren längere Zeit fort?»
    «Nein. Drei Wochen.»
    «Wo?»
    «In Europa und in Rußland.»
    Lucy sagte: «Heutzutage rechnet man Rußland schon zu Europa.»
    «Europa reicht gerade bis Polen», sagte Kokoschkin.
    Sachnowski wandte sich Lucy zu: «Waren Sie einmal in Rußland?»
    «Neinnein.»
    «Das ist Asien. Gleich hinter Polen und dem Baltikum fängt es an.»
    «Wir leben in London, in Richmond», sagte Lucy. «Von unserem Haus aus sehen wir die Themse.»
    Oakley sagte: «Ich war nur eine Woche weg. Wenn ich zurückkomme, sind es zwei Wochen.»
    «Dienstlich?» fragte Kokoschkin.
    «An Bord des Schiffes auf der Fahrt nach Southampton dienstlich. Jetzt, auf der Rückfahrt, privat.»
    Frank sagte: «Fast so wie wir. Wir fahren nach New York, treffen Freunde zum Lunch, gehen am Nachmittag wieder an Bord und fahren zurück nach Southampton.» Er lachte. «Alles privat.»
    «Zwei Wochen auf See», sagte Frau Noborra.
    «Das sind unsere Ferien.»
    «Beneidenswert», sagte Sachnowski.
    Frau Noborra fragte: «Wo leben Sie?»
    «In Chicago. Ich war in Amsterdam. Zum Vorspiel. Beim Concertgebouw Orchestra.»
    «Wo spielen Sie zur Zeit?»
    «Im CSO.»
    Lucy fragte: «Wo!?»
    «Im Chicago Symphony Orchestra.»
    «Dann habe ich Sie schon gesehen und gehört, im Konzert», sagte Frau Noborra.
    Kokoschkin fragte Frau Noborra: «Sie leben auch in Chicago?»
    «Ja.»
    Sachnowski sagte, zu Frau Noborra gewandt: «Ichmöchte die europäische Orchester-Tradition kennenlernen.»
    «Und?»
    «Es hat nicht geklappt.»
    Lucy sagte: «An Bord gibt es ein Streichquartett. Es spielt im Planetarium Illuminations.»
    «Woher wissen Sie das?» fragte Kokoschkin.
    «Das ist nicht unsere erste Reise.»
    Sachnowski sagte: «Ich weiß nicht so recht. Ein Streichquartett auf einem Schiff. Die Streichquartette, die ich kenne, spielen an Land.»
    «Nun ja», sagte Lucy.
    «Sind Sie mit Ihrer Kabine zufrieden, Herr Kokoschkin?» fragte Frank.
    «O ja. Es ist eine Balkonkabine.»
    «Wie wir», sagte Lucy.
    «Als ich zum erstenmal auf den Balkon trat», sagte Kokoschkin, «mußte ich an die Rettungsübung denken.»
    «Ich bitte Sie!»
    «Setzen Sie sich nie auf die Reling. Sollten Sie sehen, daß jemand von Bord fällt, so werfen Sie der Person einen Rettungsring zu oder irgend etwas, das schwimmt, rufen ‹Man Overboard!› und sagen dem nächsten Crewmitglied Bescheid.»
    Oakley sagte: «Schön, wenn das immer so wäre.»
    «Seien Sie nicht grausam», sagte Lucy.
    «Immerhin ist das Wasser um die zwanzig Grad Celsius warm. Das hält man eine Weile aus.»
    Sachnowski sagte: «Aber dieses riesige Schiff kann nicht einfach stoppen. Es hat schließlich mehr als neunundzwanzig Knoten drauf, das sind sechsundfünfzig Stundenkilometer.»
    «Man läßt ein schnelles Rettungsboot zu Wasser», sagte Oakley.
    Kokoschkin fragte Sachnowski: «Sind Sie in Rußland geboren?»
    «Ja.»
    «Ich frage mich die ganze Zeit, woher ich den Namen Sachnowski kenne. Musiker? Schauspieler? Sportler?»
    «Schauspieler», sagte Sachnowski. «Wasja Sachnowski. Er hat den Serjoscha in Anna Karenina gespielt. Neunzehnhundertsiebenundsechzig.»
    «Richtig. Und Tatjana Samoilowa war die Anna.»
    «Stimmt.»
    «Sind Sie mit Wasja Sachnowski verwandt?»
    «Nein.»
    Frau Noborra sagte: «Sie kennen sich aus in Asien.»
    «Da gäbe es einiges zu erzählen», sagte Kokoschkin und blickte zu Sachnowski.
    «Ich kenne die Verfilmung mit Greta Garbo, und die neueste, mit Sophie Marceau», sagte Frau Noborra.
    Der Ober fragte, welche Desserts gewünscht seien.
    Kokoschkin wollte auf ein Dessert verzichten. Frau Noborra bestellte Lime Sorbet, Chocolate
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