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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe
Autoren: Charlaine Harris
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und sie biss sich auf die Lippen. Die Pistole in ihrer Hand zitterte nicht, aber dazu war all ihre Willenskraft erforderlich. Der Boden unter ihren Füßen sah dunkel aus, ihre Hausschuhe waren auch dunkel, mit hellrosa Flecken. Lynns Fruchtblase war geplatzt.
    Wo war Arthur?
    Fassungslos schloss ich eine Sekunde lang die Augen. Als ich sie wieder öffnete, starrten Lynn und ich einander voller Angst an. Dann wurde Lynns Blick hart. „Die Handschellen, Roe“, sagte sie.
    Ich streckte den Arm durch die Türfassung und nahm sie ihr ab. Arthur hatte mir einmal erklärt, wie sie funktionierten, also wusste ich, wie ich sie Torrance um die Handgelenke schließen musste.
    „Nehmen Sie die Hände auf den Rücken“, sagte ich, so streng ich konnte. Die Kontrolle konnte Lynn und mir jeden Augenblick entgleiten. Ich hatte Torrance gerade eine Handschelle angelegt, als der Mann explodierte. Er holte aus – mit dem Arm, an dem sich die Handschelle befand – und die frei fliegende Schelle traf mich am Ohr. Aber er durfte die Pistole auf keinen Fall in die Hand bekommen! Vom Schmerz geblendet packte ich zu, wo ich zupacken konnte und sprang ihn an, sodass wir beide wild um uns schlagend auf dem Boden landeten, wo wir uns auf dem engen Raum herumwälzten, er bemüht, mich abzuschütteln, ich bemüht, mich mit aller Kraft irgendwo an ihm festzuklammern.
    „Torrance, aufhören!“, kreischte eine neue Stimme. Sofort wurden wir ruhig. Torrance lag keuchend auf mir, ich lag unter ihm, kaum noch fähig zu atmen. An seiner Schulter vorbei sah ich Marcia im Flur stehen, das Haar immer noch glatt und perfekt. Bluse und Shorts schien sie allerdings in aller Eile übergestreift zu haben.
    „Schatz, es macht keinen Unterschied mehr, wir müssen aufhören“, sagte sie sanft. Er ließ von mir ab und stand auf. Er sah seine Ehefrau an. In diesem Moment stöhnte Lynn laut – ein furchtbares Geräusch.
    Torrance schien nur noch für Marcia Augen zu haben. Ich kroch unbemerkt an ihm vorbei, obwohl ich sein Bein streifte. Weder Marcia noch Torrance beachteten mich – ein seltsam irres, surreales Gefühl.
    Lynn hatte sich mit dem Rücken an der Wand abgestützt und war zu Boden geglitten. Sie unternahm weiter tapfere Versuche, die Pistole gerade zu halten, aber es fiel ihr zusehends schwerer. Als ich herbeigekrochen kam, richtete sie einen flehenden Blick auf mich, ließ die Hand sinken, und die Pistole entglitt ihren Fingern. Ich hob sie auf und wirbelte herum, wild entschlossen, die beiden Menschen zu erschießen, die gerade noch unsere Gastgeber gewesen waren. Aber sie hatten weiter nur füreinander Augen, und ich hätte sie durchlöchern können, ohne dass es ihnen klar geworden wäre. Also ehrlich! Fast fühlte ich mich wie ein Kind, das seine Eltern bei einem Wutanfall nicht ernst nahmen. Aber wenigstens konnte ich mich jetzt um Lynn kümmern.
    Die hatte die Augen geschlossen und atmete seltsam. Nein, nicht seltsam: Sie atmete in einem bestimmten Rhythmus.
    „Du kriegst das Baby“, seufzte ich unglücklich.
    Lynn nickte, immer noch mit geschlossenen Augen und ohne den Rhythmus ihres Atmens zu verändern.
    „Du hast Verstärkung angefordert, ja?“
    Sie nickte nochmals.
    „Das am Telefon vorhin warst du, Arthur ist wahrscheinlich zu einem Fall abberufen worden“, sagte ich, schon auf dem Weg ins Bad, um mir die Hände zu waschen und einen Stapel Handtücher zu holen.
    „Aber Miss Scarlett, ich weiß nicht, wie man Babys holt!“, knurrte ich meinem Spiegelbild zu, rückte mir die Brille auf der Nase zurecht, die den Kampf wie durch ein Wunder unversehrt überstanden hatte, und ging in den Flur, um mich neben Lynn zu kauern. Zaghaft hob ich ihr Nachthemd hoch und breitete unter ihren angezogenen Knien Handtücher aus.
    „Wo ist der Schädel?“, fragte Torrance, aber nicht fordernd oder aggressiv. Er klang, als hätte er sich aufgegeben.
    „In einem Schrank im Haus meiner Mutter“, erwiderte ich knapp, wurde meine Aufmerksamkeit doch ganz und gar von Lynn in Anspruch genommen.
    „Dann hatte ihn Jane die ganze Zeit.“ Torrance klang, als könne ihn nichts mehr erstaunen. „Die Alte hatte ihn die ganze Zeit über. Sie war so wütend nach der Sache mit dem Baum, aber ich habe es nicht begriffen. Wir haben doch all die Jahre als gute Nachbarn gelebt, und dann dieses Geschrei wegen eines Baumes. Als Nächstes war da ein Loch im Boden, und der Schädel war weg, aber ich habe beide Vorfälle nicht miteinander in Verbindung
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