Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch
Autoren: Dick Francis
Vom Netzwerk:
Job als Dienstälteste ohnehin verdient, und wäre sie ein Mann gewesen, hätte sie ihn auch ganz automatisch bekommen. Als gerechter und logisch denkender Mensch hatte er ihr Geschlecht für unerheblich befunden. Und so avancierte sie zur einzigen Futtermeisterin in ganz Newmarket, wo schon ein weiblicher Pfleger eine Seltenheit war. Und die sechs Jahre ihrer Herrschaft waren dem Stall bestens bekommen.
    Ich erinnerte mich noch an die Zeit, als ihre Eltern immer wieder bei den Ställen auftauchten und meinen Vater beschuldigten, Ettys Leben zu ruinieren. Ich war ungefähr zehn Jahre alt, als sie auf den Hof kam, und sie war neunzehn und hatte eine vornehme Erziehung auf einer teuren Privatschule hinter sich. Ihre Eltern waren mit zunehmender Verbitterung hergekommen und hatten sich darüber beschwert, daß der Stall Ettys Aussichten auf eine gute, standesgemäße Heirat verderbe, aber genau das hatte Etty nie interessiert. Wenn sie je mit Sex herumexperimentiert hatte, so hatte sie es nicht an die große Glocke gehängt – und wahrscheinlich war ihr die ganze Angelegenheit langweilig vorgekommen. Sie hatte nichts gegen Männer, behandelte sie jedoch, wie sie ihre Pferde behandelte: mit forscher Freundlichkeit, immensem Verständnis und kühler Bestimmtheit.
    Seit dem Unfall meines Vaters trug sie praktisch die volle Verantwortung für alles. Ich hatte eine befristete Lizenz bekommen, um hier die Stellung halten zu können – offiziell hatte ich nun das Sagen im Stall, aber wir wußten beide, daß ich ohne sie verloren gewesen wäre.
    Während ich zusah, wie ihre geschickten Hände ruhig über Moonrocks braunes Fell glitten, kam mir der Gedanke, daß der dicke Mann in mir vielleicht einen leichten Gegner gewittert hatte – mit Miss Henrietta Craig würde sein Sohn Alessandro jedoch sein blaues Wunder erleben, falls er bei uns in die Lehre ging.
    »Geh du besser mit dem Lot raus, Etty«, sagte ich. »Ich bleibe hier und warte auf den Tierarzt.«
    »Gut«, sagte sie. Wahrscheinlich hatte dieser Vorschlag ihr schon selbst auf der Zunge gelegen. Diese Arbeitsteilung war nur vernünftig, denn die Pferde waren schon gut durchtrainiert, die nächste Rennsaison stand vor der Tür, und sie wußte besser als ich, was für die Tiere auf dem Programm stand.
    Sie winkte George heran, damit er Moonrocks Halfter übernahm und ihn weiter ruhighielt. Zu mir sagte sie, als sie aus der Box trat: »Was halten Sie von diesem Frost? Es dürfte wohl bald tauen.«
    »Bring die Pferde rüber zum Warren Hill und entscheide selbst, ob ihr sie galoppieren lassen könnt.«
    Sie nickte. »Mach’ ich.« Dann warf sie noch einen letzten Blick auf Moonrock, und für einen kurzen Moment legte sich ein weicher Zug um ihren Mund. »Mr. Griffon wird traurig sein.«
    »Ich werde ihm nichts davon erzählen.«
    »Hm.« Mit einem knappen, geschäftsmäßigen Lächeln ging sie hinaus auf den Hof, eine kleine, schlanke Gestalt, unerschrocken und kompetent.
    Moonrock war bei George in bester Obhut. Ich folgte Etty zurück auf den Haupthof und sah zu, wie die Pferde aufbrachen: dreiunddreißig im ersten Lot. Die Pfleger führten ihre Schützlinge aus den Boxen, sprangen in die Sättel und ritten über den Hof, durch das erste Doppeltor, dann über den Vorhof und durch das letzte Tor auf den Trabring. Der Himmel hellte sich von Minute zu Minute weiter auf, und ich gab Etty im stillen recht, was das Tauwetter betraf.
    Nach etwa zehn Minuten, als die Tiere in die richtige Reihenfolge gebracht waren, trabten sie aus dem Ring, durch die Bäume und den Grenzzaun direkt hinaus auf die Heide.
    Noch bevor das letzte Tier außer Sicht war, hörte ich ein lautstarkes Knirschen in der Auffahrt hinter mir, und der Landrover des Tierarztes kam mit einem Hagel von Kies zum Stehen. Mit der Tasche in der Hand sprang der Mann aus dem Wagen und sagte: »Heute morgen hat aber auch jedes verdammte Pferd auf der Heide Koliken oder eingewachsene Zehennägel … Sie müssen Neil Griffon sein … tut mir leid, das mit Ihrem Vater … Etty sagt, es geht um den alten Moonrock … immer noch in der gleichen Box?« Ohne Luft zu holen, ließ er mich stehen und ging mit großen Schritten an den äußeren Boxen entlang. Jung, rundlich, zielbewußt – und keineswegs der Tierarzt, den ich erwartet hatte. Der Mann, den ich kannte, war eine ältere Version, langsamer, augenzwinkernd, genauso rundlich und mit der Angewohnheit, sich den Kiefer zu reiben, wenn er über etwas nachdachte.
    »Tut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher