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Knochenbruch

Knochenbruch

Titel: Knochenbruch
Autoren: Dick Francis
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werden Sie nicht freigelassen.«
    Ich sagte nichts.
    »Haben Sie verstanden?«
    Ich seufzte. »Ja.«
    »Gut.«
    »Kein mieser, kleiner Gauner, sagten Sie, glaube ich.«
    Seine Nasenflügel bebten. »Ich bin ein Drahtzieher.«
    »Und ein Mörder.«
    »Ich morde niemals, es sei denn, das Opfer besteht darauf.«
    Ich starrte ihn an. Er lachte innerlich über seinen hübschen kleinen Witz, und die Belustigung brach in kleinen Zuckungen seiner Mundwinkel und winzigen, schnaubenden Atemstößen aus ihm heraus.
    Dieses Opfer würde wohl nicht darauf bestehen. Sollte er sich ruhig amüsieren.
    Ich bewegte meine Schultern ein wenig und versuchte, die Muskeln zu lockern. Er sah aufmerksam zu und enthielt sich jeder Bemerkung.
    »Wer«, sagte ich, »ist denn dieser Jockey?«
    Er zögerte.
    »Er ist achtzehn«, sagte er.
    » Achtzehn … «
    Er nickte. »Sie werden ihm die guten Pferde zum Reiten geben. Er wird Archangel im Derby reiten.«
    Unmöglich. Vollkommen unmöglich. Ich betrachtete die Pistole, die so still auf der teuren Schneiderware lag. Ich sagte nichts. Es gab nichts zu sagen.
    Als er wieder zu sprechen begann, lag neben der bedachtsamen Akzentlosigkeit die Befriedigung des Sieges in seiner Stimme.
    »Er wird morgen zum Stall kommen. Sie werden ihn engagieren. Er hat noch nicht viel Rennerfahrung. Sie werden dafür sorgen, daß er sie bekommt.«
    Ein unerfahrener Reiter auf Archangel … Der helle Wahnsinn. Ein solcher Wahnsinn, daß er mit Entführung und Morddrohungen arbeiten mußte, um klarzumachen, daß er es ernst meinte.
    »Sein Name ist Alessandro Rivera«, sagte er.
    Nach einer kurzen Bedenkzeit fügte er noch den Rest hinzu.
    »Er ist mein Sohn.«

2
     
    Als ich das nächste Mal erwachte, lag ich mit dem Gesicht nach unten auf dem nackten Fußboden des eichenvertäfelten Raumes in Rowley Lodge. Zu viele nackte Bretter überall. Nicht meine Nacht.
    Nach und nach kam ich wieder zu mir. Ich fühlte mich duselig, unterkühlt, halb bewußtlos, narkotisiert …
    Narkotisiert.
    Sie hatten die Höflichkeit besessen, mir für die Rückfahrt nicht wieder auf den Kopf zu schlagen. Der dicke Mann hatte dem amerikanischen Gummigesicht zugenickt, aber statt die Keule zu schwingen, versetzte der mir einen schnellen, stechenden Stoß in den Oberarm. Anschließend warteten wir etwa eine Viertelstunde lang, während der niemand irgend etwas sagte, und dann verlor ich plötzlich das Bewußtsein. Ich hatte nicht die leiseste Erinnerung an die Fahrt nach Hause.
    Stöhnend und ächzend untersuchte ich alle zusammenhängenden Teile. Alles dran, alles in Ordnung und funktionstüchtig. Das heißt, mehr oder weniger, denn nachdem ich mit Ach und Krach wieder auf die Beine gekommen war, schien es mir ratsam, mich wieder auf den Stuhl neben dem Schreibtisch zu setzen. Ich legte meine Ellenbogen auf den Tisch und meinen Kopf in die Hände und ließ Zeit vergehen.
    Draußen verwandelte der Beginn einer feuchten Morgendämmerung den Himmel in grauen Flanell. Die Ränder der Fensterscheiben waren vereist, dort, wo kondensierte, warme Luft gefroren war. Die Kälte ging mir bis auf die Knochen.
    In der Gehirnabteilung waren die Dinge nicht weniger frostig.
    Ich erinnerte mich nur allzu deutlich, daß Alessandro Rivera an diesem Tag seine Gegenwart fühlbar machen würde. Vielleicht glich er ja seinem Papa, dachte ich müde, und war so übergewichtig, daß das ganze Dilemma die Ohren anlegte und sich leise davonstahl. Auf der anderen Seite, wenn es nicht so war, warum sollte sein Vater einen Vorschlaghammer benutzen, um eine Erdnuß zu knacken? Warum konnte er seinen Sohn nicht auf normale Weise in die Lehre schicken? Weil er nicht normal war, weil sein Sohn kein normaler Lehrling sein würde und weil kein normaler Lehrling erwarten konnte, seine Karriere auf einem Derbyfavoriten zu beginnen.
    Ich fragte mich, wie mein Vater an meiner Stelle reagiert hätte, wenn er nicht mit einer komplizierten Fraktur von Tibia und Fibula in einem Streckverband gehangen hätte. Er hätte sich, soviel stand fest, nicht so zerschlagen gefühlt wie ich, weil er widerstandslos und mit einem Höchstmaß an Würde mitgegangen wäre. Aber er hätte nichtsdestoweniger denselben schwerwiegenden Fragen gegenübergestanden, als da wären: Hatte der dicke Mann ernsthaft die Absicht, den Stall zu zerstören, wenn sein Sohn den Job nicht bekam, und wie konnte er das bewerkstelligen?
    Die Antwort auf beide Fragen war ein überdimensionales Fragezeichen.
    Es war nicht
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